Ernst von Pfuel – „Mann des Königs“ oder liberaler „Reformgeneral“?

Unbekannter Künstler, Generalleutnant Ernst Adolph von Pfuel (Ausschnitt), um 1840, Öl auf Leinwand © LVR-Niederrheinmuseum Wesel

Ernst von Pfuel war ein preußischer General, der von 1818 bis 1825 in Koblenz stationiert war und von 1830 bis 1838 das Oberkommando in der Stadt Köln innehatte. In der Revolution wurde er zum Mitglied der preußischen Nationalversammlung in Berlin gewählt und trat vorübergehend das Amt des Ministerpräsidenten und Kriegsministers an. Seine Karriere war durch die politischen Zeitumschwünge geprägt, in denen er mal als „standesbewusster, altpreußischer Militär“ als auch als „liberaler Bildungsbürger“ agierte.

Ernst Heinrich Adolf von Pfuel kam am 3. November 1779 auf Jahnsfelde zur Welt, dem väterlichen Erbgut in der märkischen Schweiz. Seine Mutter, Johanna Sophie, geb. Krantz, war die Tochter eines Regimentschirurgen. Die ersten Stationen seines Lebenswegs entsprachen den Standestraditionen des Militäradels. Nach dem frühen Tod der Mutter: Pension in Berlin und Besuch der dortigen Realschule, Eintritt ins Kadettenkorps nach dem Tod des Vaters, wechselnde Vormünder, dann zur académie des nobles (académie militaire) in Berlin und schließlich als einer der besten Absolventen seines Jahrgangs 1797 Fähnrich im Potsdamer Infanterieregiment „Kronprinz“ (Nr.18).

In Potsdam fand er Zugang zu einem Zirkel junger Offiziere, die musisch-literarische und wissenschaftliche Interessen pflegten. Etliche von ihnen waren mit dem Militärdienst unzufrieden. Pfuel schloss enge Freundschaft mit zwei fast gleichaltrigen Fähnrichen vom Regiment Garde, die einen ähnlichen sozialen Hintergrund hatten: Otto August Rühle von Lilienstern (1780-1847, später General und Inspekteur des preußischen Militär-Bildungswesens) sowie der später berühmte Dichter Heinrich von Kleist (1777-1811). In einem Brief an seinen früheren Privatlehrer und „geistlichen Erzieher“ Christian E. Martini begründete Kleist den Entschluss zum Abschied von der Armee wie folgt: „…wurde mir der Soldatenstand, dem ich nie von Herzen zugetan gewesen bin, weil er etwas durchaus Ungleichartiges mit meinem ganzen Wesen in sich trägt, so verhasst, dass es mir nach und nach lästig wurde, zu seinem Zwecke mitwirken zu müssen. Die größten Wunder militärischer Disziplin, die der Gegenstand des Erstaunens aller Kenner waren, wurden der Gegenstand meiner herzlichsten Verachtung, die Offiziere hielt ich für so viele Exerziermeister, die Soldaten für so viele Sklaven, und wenn das ganze Regiment seine Künste machte, schien es mir ein lebendiges Monument der Tyrannei… .“ (Potsdam, 18. März 1799. Zitiert nach: Gerhard Stenzel (Hrsg.): Heinrich v. Kleist. Werke in einem Band, Bergland-Buch-Klassiker, Salzburg-Stuttgart o.J. (1960), S. 73f.)

Es ist davon auszugehen, dass seine Freunde ähnlich empfanden. Während Kleist seinen Abschied von der Armee bereits im April 1799 erhielt und Rühle die Laufbahn weiterführte, stellte der inzwischen beförderte Pfuel drei Jahre später sein Abschiedsgesuch, das im Juni 1803 bewilligt wurde.

Eine gemeinsam unternommene Reise führte Pfuel und Kleist kurz darauf in die Schweiz, nach Italien und schließlich nach Paris, wo beide eine gemeinsame Wohnung mieteten, sich aber dann vorübergehend voneinander trennten, um im Jahr darauf wieder in Potsdam aufeinander zu treffen. Pfuel wurde in den literarischen Salon von Rahel Levin (1771-1833) eingeführt, wodurch sich weitere Bekanntschaften mit der intellektuellen Avantgarde Berlins ergaben. Einer dieser Bekannten, der Diplomat und Schriftsteller Karl August Varnhagen von Ense (1785-1858) wurde 1814  der Ehemann der jüdischen Schriftstellerin und Salonnière Rahel Levin (1771–1833)  und in den kommenden Jahrzehnten zum wohl engsten Vertrauten Pfuels. Dieser betrieb seinen Wiedereintritt in den preußischen Militärdienst, der ihm im Frühjahr 1805 bewilligt wurde.

Die nächsten zehn Jahre seiner Vita waren durch die Kriege gegen Napoleon geprägt. Dabei trug Pfuel abwechselnd preußische, österreichische und russische Uniform und kämpfte auch in Freiwilligenverbänden (Fränkische Legion, Deutsche Legion) für Kaiser Franz I. von Österreich bzw. den russischen Zaren Alexander. Zwischen den aufeinanderfolgenden Feldzügen, Schlachten und Gefechten gab es nur wenige Pausen: Etwa in Dresden, wo Pfuel von 1807 bis 1809 wieder mit den beiden Potsdamer Freunden zusammenwirkte oder 1810 in Berlin, wo er Kleist zum letzten Mal traf und mit dem Freiherrn vom Stein in Verbindung trat. Ab Dezember 1814 diente er wieder in der preußischen Armee und gehörte während der Schlacht bei Belle Alliance (Waterloo) zum Generalstab Blüchers. Danach wurde er zunächst Kommandant des preußischen Sektors im vorübergehend besetzten Paris, bevor er 1818 an den Rhein, zum VIII. Armee-Korps nach Koblenz, versetzt wurde. Zwischen 1825 und 1828 kommandierte er die 7. Landwehrbrigade in Magdeburg.  

Im März 1830 erwartete dann die Kölner Bürgerschaft den Generalmajor von Pfuel als neu ernannten Kommandeur der 15. Division und Kommandanten der Festung mit gemischten Gefühlen. Mit ihm schien sich ein weiterer, am Rhein nicht gerade beliebter, streng konservativer Stockpreuße“ hier einzufinden: Protestant aus brandenburgischem Adel, Sohn eines Kavallerieoffiziers und Gutsbesitzers und hochdekorierter Teilnehmer an zahlreichen Feldzügen und Schlachten gegen Napoleon. Für ihn sprach vielleicht, dass er in seinen eigenen Kreisen nicht ganz unumstritten war. Er hielt auf Körperertüchtigung, liebte das Wandern und besonders das Schwimmen, das für ihn auch zur militärischen Grundausbildung gehörte.  Marschall Blücher bezeichnete ihn als einen „gelehrten Offizier“ und gebrauchte damit eine eher abwertend gemeinte Bezeichnung für bildungsbeflissene Militärs: ein belesener Schöngeist also mit verdächtigen liberalen Ansichten, militärisch wohl ganz zuverlässig, politisch aber ein unsicherer Kantonist? Noch dazu stand ihm die Scheidung seiner Ehe bevor, nach über zwanzig Jahren mit fünf gemeinsamen Kindern, weil seine Frau ihm die Affäre mit einer anderen nicht verziehen hatte.

Am 31. Mai 1831 sandte ihn der König als „Commissaire royal“ nach Neuenburg in die Schweiz. Das Fürstentum gehörte seit 1814 wieder zur Krone von Preußen und war als 21. Kanton der Eidgenossenschaft beigetreten. Unter Einfluss der Julirevolution 1830 drängte in fast allen Schweizer Kantonen das aufstrebende Bürgertum auf politische Partizipation und Abschaffung alter ständischer Privilegien. Der königliche Kommissar Pfuel leitete in Neuenburg auftragsgemäß die geforderten Veränderungen hinhaltend „von oben“ ein.

Eine Verschärfung der Neuenburger Problematik ergab sich allerdings daraus, dass die oppositionellen Kräfte auch eine Loslösung von Preußen anstrebten. Ungeachtet der Reformansätze und des nach neuem Wahlrecht konstituierten Landtags kam es am 12. September zu einem liberal-demokratischen Aufstand, der mit militärischer Hilfe der Eidgenossenschaft niedergeschlagen wurde. Der zuvor nach Köln zurückgekehrte Pfuel erschien wieder in Neuenburg und zeigte sich nun als tatkräftiger Reaktionär. Eine erneut aufgeflammte Revolte konnte zu Weihnachten niedergeschlagen werden. Pfuel wurde daraufhin befördert und am 29. Januar 1832 zum Gouverneur von Neuenburg bestellt, der sein vizekönigliches „Nebenamt“ fortan dienstreisend von Köln aus wahrnahm. In Neuenburg wurden die alten Herrschaftsverhältnisse allmählich restauriert.

Im November 1837 war Pfuel in eine andere Staatsaktion eingebunden, in die spektakuläre Verhaftung des Erzbischofs von Köln, Clemens August Droste zu Vischering (1773-1845). Die Spannungen zwischen Staat und katholischer Kirche fanden in den „Kölner Wirren“ lebhaften Ausdruck und gipfelten in einer fast persönlichen Auseinandersetzung zwischen König Friedrich Wilhelm III. und dem Erzbischof. Die Verhaftung erfolgte auf königlichen Befehl am Abend des 20. November 1837 durch drei hohe Beamte; auch der Oberbürgermeister der Stadt Adolph Steinberger (1777–1866) war beteiligt. Pfuel agierte nur im Hintergrund und war für die militärische Sicherung des Unternehmens verantwortlich. Der Erzbischof wurde sofort in die Festung Minden verbracht, wo er im Hause des katholischen Kaufmanns Vogeler am Obermarkt unter Arrest stand.  

Obwohl das Vorgehen der Behörden besonders in den mehrheitlich katholischen Städten im Rheinland große Kritik hervorrief, blieb es am Ereignisort selbst erstaunlich ruhig.  Es kam nicht zu Unruhen oder gar Zusammenstößen von Militär und Bürgern wie etwa in Münster und Paderborn. General Pfuel wurde im April 1838 von der Kölner Bürgerschaft sehr herzlich verabschiedet, als er zum Kommandierenden General des VII. (westfälischen) Armeekorps befördert und nach Münster versetzt wurde. Die „Kölnische Zeitung“ widmete ihm eine zweiseitige Laudatio.

Sein Freund Varnhagen sah in Pfuel „unstreitig einen der tüchtigsten und ausgezeichnetsten Generäle Preußens“, der neben seinen beruflichen Qualitäten und persönlichen Vorzügen auch ein in der Wolle gefärbter Monarchist war, nach Varnhagen ganz und gar „ein Mann des Königs.“

1847 sprach man von Pfuel als dem künftigen Gouverneur von Berlin. Doch die Ernennung zog sich in die Länge, und Pfuel konnte erst am 11. März 1848 sein neues Amt antreten, als sich die vorrevolutionäre Situation bereits gefährlich zugespitzt hatte.  Er riet zur Mäßigung und zum Beschreiten des „konstitutionellen“ Weges. Am 15. März verhinderte er mit persönlichem Einsatz einen Zusammenstoß zwischen Demonstranten und Militär auf dem Schlossplatz. Auch drei Tage später wollte er unter allen Umständen Blutvergießen vermeiden. Er glaubte auch den König auf dem Weg zur Verfassung. Die militärische Reaktionspartei nutzte jedoch eine einstündige Abwesenheit Pfuels, um seine Abberufung beim Monarchen durchzusetzen. Sein Nachfolger im Kommando gab den Angriffsbefehl auf die Barrikaden und löste damit die Kämpfe des 18. März aus.

Nach Missionen ins Großherzogtum Posen, an den russischen Hof und zur Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt am Main kehrte Pfuel wieder nach Berlin zurück, wo ihn Friedrich Wilhelm IV. am 22. September 1848 zum preußischen Ministerpräsidenten und Kriegsminister berief. Doch kam der Regierungschef mit der Preußischen Nationalversammlung nicht zur Einigung über eine Verfassung. Die Linke sah in Pfuel einen Reaktionär, während ihn sein liberal-konstitutioneller Regierungskurs zunehmend in Konfrontation zu den reaktionären Hardlinern um den König brachte. In diesem Dilemma trat der „Reformgeneral“ Pfuel am 1. November 1848 von seinen Ämtern zurück und nahm 1849 endgültig den Abschied vom Militärdienst. Auch aus der Politik zog er sich zurück, blieb aber ein geschätzter Brief- und Gesprächspartner (etwa auch von Karl Marx) und bis zu seinem Lebensende am 3. Dezember 1866 ein überzeugter konstitutioneller Monarchist, dessen Ausgleichsbemühungen letztlich fehlschlugen.

(Helmut Langhoff, 24.6.2023)

Literatur

Harald Müller, Ernst von Pfuel (1779-1866). Der unbequeme Nothelfer auf Zeit, in : Helmut Bleiber/Walter Schmidt/Susanne Schötz (Hrsg.), Akteure eines Umbruchs. Männer und Frauen der Revolution von 1848/49, Bd.1, Berlin 2023, S. 515-562.

Bernhard von Gersdorff; Preußische Köpfe – Ernst von Pfuel, Berlin 1981.

 

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Unbekannter Künstler, Arrestquartier des Erzbischofs in der Festung Minden, Lithographie um 1840 © Leihgabe: Privatbesitz,
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