Die Heimfahrt der Kaiserin

Thomas Parent

„Langsam, unmerklich gleitet der Zug mit seiner kostbaren Last über die deutsche Grenze“, lesen wir in einer Broschüre mit dem Titel „Die Heimfahrt unserer Kaiserin“. Gemeint ist der niederländisch-deutsche Grenzübergang zwischen Arnheim und Emmerich. Bei der „kostbaren Last“ handelte es sich um den Sarg mit dem Leichnam von Auguste Victoria, der Gemahlin Wilhelms II. Die Kaiserin war am 11.4.1921 in Haus Doorn in der Nähe von Utrecht gestorben. Während der November-Revolution von 1918 hatte sie Deutschland für immer verlassen und war ihrem geflohenen Ehemann in sein holländisches Exil gefolgt. Die Überführung der Leiche von Doorn nach Potsdam startete am 18.4.1921. Der Bahntransport wurde von den Kaisersöhnen Oskar und Adalbert begleitet. Die Beisetzung erfolgte am Folgetag im Antiken-Tempel im Schlosspark von Sanssouci.

Die Broschüre beschreibt ausführlich wie der (noch) monarchistisch eingestellte Teil der deutschen Bevölkerung regen Anteil an diesem Geschehen nahm. Das äußerte sich bereits im Grenzort Elten, wo der Bürgermeister den beiden Kaisersöhnen am Bahndamm einen Trauerkranz aus Lorbeer überreichte. Einen weiteren Kranz widmeten – laut Inschrift – die „deutschen Männer und Frauen der Stadt Emmerich“ ihrer „unvergessenen Landesmutter“. Im Oberhausener Hauptbahnhof füllten mehrere hundert Schaulustige aus unterschiedlichen Bevölkerungsschichten gleich drei Bahnsteige: Anwesend waren "der Oberbürgermeister, der Wohlfahrtsdirektor der Guten-Hoffnungshütte, der Vorsitzende des Roten Kreuzes, ein greiser, vollbärtiger Oberleutnant mit dem Eisernen Kreuz von 1870 auf der Brust“. Außerdem „Pfarrer, Lehrer und Lehrerinnen der höheren und Volksschulen, arbeitsharte, schlichte Bergleute, straffe intelligent blickende Hüttenarbeiter und Beamte, ärmliche, schlichte Frauen, den Marktkorb noch am Arm". Während des zwölfminütigen Aufenthalts durfte "eine kleine Abordnung“ den Waggon mit dem Sarg der Kaiserin betreten, darunter „eine Dame aus der Industrie“ sowie "ein kleines Mädchen mit einer frischen, dunkelroten Rose und einem Sträußchen Himmelsschlüsselchen." Laut Interpretation der Broschüre sollte die Rose „an die blutigen Kriegsjahre“ erinnern sowie an die „opferbereite, dienende Liebe einer Landesmutter, die in Lazaretten und Frauenvereinen Wunden zu heilen suchte“. Die Himmelsschlüsselchen stünden als „Frühlingsboten“ für „unseres Volkes Zukunftshoffnung!"

Der Text des Büchleins stammte von Gertrud Zillich, der Mitgründerin und Vorsitzenden eines karitativen Vereins, der sich um gefährdete Mädchen und Frauen kümmerte. Zillich hatte vor dem Ersten Weltkrieg als evangelische Missionslehrerin in Ostafrika gearbeitet, wo das Kaiserreich 1885-1918 als Kolonialmacht herrschte. In ihrem Nachwort erwähnt sie erste "Segensspuren" der "Durchfahrt unserer Kaiserin durch Oberhausen“: Es sei inzwischen der Grund zu einer "Auguste-Viktoria-Dank-Stiftung für Jugendschutz im Ruhrgebiet" gelegt worden. In der Revierstadt gibt es noch heute ein "Gertrud-Zillich-Haus", eine Einrichtung des örtlichen Diakonie-Verbands.

Zurück zu den Ereignissen vom April 1921! Nachdem der Tod der ehemaligen Landesmutter in Oberhausen bekannt geworden war, luden die konservative „Deutschnationale Volkspartei“ und die rechtsliberale „Deutsche Volkspartei“ zu öffentlichen Gedenkfeiern ein. Pastöre hielten patriotische Trauerreden.

Allerdings betrauerte längst nicht die gesamte Stadtbevölkerung Oberhausens die verstorbene Kaiserin, was an mangelndem Fahnenschmuck ablesbar war. Es gab lediglich an einigen Privathäusern und am Zollamt einzelne auf Halbmast gesetzte Fahnen. Auch das Glockengeläut, mit dem der protestantische Klerus die Monarchin posthum ehren wollte, war zunächst umstritten. In Duisburg-Hamborn befürchtete die Polizei unerwünschte Kundgebungen aus der sozialistischen Arbeiterschaft. Trotzdem läuteten zahlreiche Kirchenglocken, als der Sargtransport am 18.4.1921 die preußische Rheinprovinz durchquerte.

Am 19.4.1921 geriet die Beisetzungsfeier in Potsdam zur letzten königstreuen Massenkundgebung in der preußisch-deutschen Geschichte. Weit mehr als 200.000 Personen waren anwesend, an Prominenz u.a. die Ex-Kronprinzessin Cecile und vier Kaisersöhne, der ehemalige Chef der Obersten Heeresleitung Paul von Hindenburg und sein Stellvertreter Erich Ludendorff. Die sozialistische Presse kritisierte dieses Ereignis als reaktionäre Propaganda-Veranstaltung und zweifelte an der demokratischen Reife der ehemaligen Untertanen der gestürzten Hohenzollerndynastie: „Was für ein Volk, das den Männern, die es verkauft, belogen und ruiniert haben, Beifall klatscht in dem Moment, wo sie das Begräbnis einer alten Frau zu einer monarchistischen Demonstration und einer militärischen Maskerade missbrauchen. Taktlos, gefühllos, brutal und dumm!“

Die Beisetzungsfeierlichkeiten in Potsdam. Historische Ansichtskarte, 1921, LWL-Industriemuseum Dortmund.

Bereits im Sommer 1918 hatte Auguste Victoria darum gebeten, nach ihrem Tod in Potsdam zur ewigen Ruhe gebettet zu werden. Ihr Mann und seine konservativen Berater erfüllten ihr 1921 diesen Wunsch in der Hoffnung, dass die Grabstätte ein Wallfahrtsort für alle monarchisch gesinnten Deutschen werde. In Erinnerung an die legendäre Königin Luise sollte auch für Auguste Victoria ein vaterländischer Märtyrinnenkult in die Wege geleitet werden: „Der Kaiserin hat der Umsturz das Herz gebrochen“, erklärte Wilhelm II. 1922 in einer Streitschrift als Todesursache. Dies stimmte insofern, als Auguste Victoria an einem Herzleiden verstorben war.

Zu einem Wallfahrtsort wurde ihre Grabstätte allerdings nicht. Vielmehr geriet Deutschlands letzte Kaiserin bereits während der Weimarer Republik zunehmend in Vergessenheit. In Essen gab man in den 1920er Jahren beim „Kaiserin-Auguste-Victoria-Erholungshaus“ der Krupp-Werke den feudalen Namensbezug auf. In Berlin wurde der „Auguste-Victoria-Platz“ an der Gedächtniskirche 1947 in „Breitscheidplatz“ umbenannt, zu Ehren des SPD-Politikers Rudolf Breitscheid, der 1944 im KZ Buchenwald umgekommen war. Allerdings stößt man im Rheinland auch heute noch mancherorts auf Spuren der Erinnerung an die Monarchin.

Porträt-Medaillons des letzten deutschen Kaiserpaars zieren die prunkvolle protestantische Erlöserkirche in Gerolstein in der Eifel. Monumentale Ölgemälde von Wilhelm II. und Auguste Victoria sind in der Villa Hügel in Essen-Bredeney zu sehen.

Porträtmedaillons von Wilhelm II. und Auguste Victoria in der Vorhalle der protestantischen Erlöserkirche in Gerolstein. Foto Thomas Parent, 2017.

Die Zitate stammen aus folgenden Publikationen:

Gertrud Zillich: Die Heimfahrt unserer Kaiserin Auguste Viktoria, April 1921, Bielefeld (3. Aufl.) 1923 (Zitate auf S. 46, 51, 55, 57).

Oberhausener Zeitung vom 16.4.1921, 19.4.1921.

Freiheit, Das Berliner Organ der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands, vom 22.4.1921.

Kaiser Wilhelm II.: Ereignisse und Gestalten aus den Jahren 1878-1918, Leipzig 1922 (Zitat auf S. 288).

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Die Kaiserin im Rollstuhl, kurz vor ihrem Tod. Historische Ansichtskarte, ca. 1921, LWL-Industriemuseum Dortmund.
Der Zug, der den Sarg mit dem Leichnam der Kaiserin nach Potsdam transportiert. Zeichnung von Helene Binder aus Mülheim an der Ruhr, nach einer Fotografie. Abgedruckt in der von Gertrud Zillich verfassten Broschüre über „Die Heimfahrt unserer Kaiserin Auguste Victoria“, S. 46.