Jüdisches Leben im Rheinland vom 17. bis 20. Jahrhundert 

Nach den spätmittelalterlichen Vertreibungen der jüdischen Gemeinden aus den meisten rheinischen Städten lebte die Mehrheit der Jüdinnen und Juden in den verschiedenen rheinischen Territorien als „Schutzjuden“ mit Patent oder als „unvergleitete“ Juden ohne Patent in Kleinstädten oder Dörfern. Sie waren dort meist als Vieh- und Immobilienhändler, Metzger oder Hausierer tätig.

Mit der Eroberung der linksrheinischen Gebiete durch die Franzosen erlangte die liberale Gesetzgebung des revolutionären Frankreich auch im Rheinland Gültigkeit. Die Franzosen gewährten staatsbürgerliche Gleichheit und Freiheit links des Rheins, zum Teil auch im Rechtsrheinischen. Damit einher ging die Freizügigkeit, Juden durften sich nun überall niederlassen. So zog 1789-365 Jahre nach der Vertreibung der jüdischen Gemeinde – erstmals wieder ein jüdisches Ehepaar nach Köln. In der napoleonischen Zeit (1808) wurden drei Konsistorien als Verwaltungseinheiten eingerichtet, die jüdischen Untertanen mussten feste Vor- und Familiennamen annehmen und das Schändliche Dekret nahm die gerade neugewonnenen Freiheiten im Handel teilweise wieder zurück.

1815, nach der territorialen Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress, kamen die Gebiete der späteren Rheinprovinz unter preußische Herrschaft. Über zwei Drittel der dort ansässigen Jüdinnen und Juden lebten zu dieser Zeit in Hunderten von kleinen Gemeinden, die meist nicht in der Lage waren, eine Synagoge zu bauen oder gar einen Rabbiner anzustellen. Ab 1825 wurde in den preußischen Provinziallandtagen über die Emanzipation der Juden debattiert. Diese Diskussion stand im Zusammenhang mit weiteren Aspekten einer sich modernisierenden Gesellschaft, wie z.B. der Forderung nach Pressefreiheit. Als im Mai 1843 der 7. Rheinische Landtag zusammentrat, wurde er mit Bittschriften für die Emanzipation der Juden überhäuft. Nach lebhaften Debatten votierte der Landtag am 13. Juli 1843 als erste deutsche parlamentarische Vertretung mit 54 zu 19 Stimmen dafür, „daß es Eurer Majestät gefallen möge, für die linke Rheinseite...die Wegräumung aller noch bestehenden Hindernisse zur völligen Gleichstellung der Juden in bürgerlicher und politischer Hinsicht...herbeizuführen“. Auch wenn König Friedrich Wilhelm IV. dies ablehnte, wurde der Beschluss ein wichtiger Motor der Judenemanzipation. Ein Schritt in Richtung Emanzipation – wenn auch noch mit Einschränkungen – war das „Gesetz über die Verhältnisse der Juden“, das am 23. Juli 1847 in Kraft trat und erstmals für ganz Preußen (außer Posen) die „bürgerlichen Verhältnisse“ der Juden und das jüdische Kultus- und Schulwesen regelte. So erhielten die Synagogengemeinden staatliche Anerkennung und korporative Rechte. 

Seit Mitte des 19. Jahrhundert war auch ein sozialer Aufstieg der jüdischen Bevölkerung zu beobachten, der u.a. zu einem regelrechten Synagogenbauboom führte. Noch immer lebten viele rheinische Juden und Jüdinnen auf dem Land, eine regelrechte „Landflucht“ setzte erst Ende des 19. Jahrhunderts ein.
Die rechtliche Gleichstellung brachte erst 1869 die Verfassung des Norddeutschen Bundes, die 1871 auf das ganze Deutsche Reich übertragen wurde. Doch brach gleichzeitig der Antisemitismus in breiten Bevölkerungskreisen immer wieder auf. Noch 1891/92 kam es in Xanten zu einem Ritualmordvorwurf gegen den jüdischen Metzger Adolf Buschhoff, der trotz seines Freispruchs im ganzen Rheinland zu antijüdischen Ausschreitungen führte.

In der Weimarer Republik präsentierten sich die jüdischen Rheinländer in zwei großen Ausstellungen der Öffentlichkeit als selbstbewusster Teil der deutschen wie der rheinischen Gesellschaft: in der Jüdischen Sonderschau im Rahmen der Jahrtausendausstellung der Rheinlande in Köln (1925) und in der Ausstellung Hygiene der Juden (1926) auf der Düsseldorfer GeSoLei
Unter dem NS-Regime wurde der latente Antisemitismus zum staatlich diktierten Terror. Als Antwort auf die Ausgrenzung gründeten sich zahlreiche jüdische Selbsthilfeorganisationen, z.B. der Jüdische Kulturbund Rhein-Ruhr. Während des Novemberpogroms 1938 wurden im heutigen Nordrhein-Westfalen 278 Synagoge zerstört, viele Menschen misshandelt und verhaftet. Mit dem Pogrom begann die letzte Phase der Verfolgung. Auch die jüdischen Gemeindestrukturen wurden nun zerstört. Seit Frühjahr 1941 wurden Juden in so genannten Judenhäusern ghettoisiert. Im Herbst begannen die Deportationen in die Vernichtungslager. 

Literatur:

Avraham Barkai, Die sozio-ökonomische Entwicklung der Juden in Rheinland-Westfalen in der Industrialisierung 1850-1910, in: Bulletin des Leo Baeck Instituts 66 (1983), S. 53-81

Monika Grübel/ Georg Mölich (Hg.), Jüdisches Leben im Rheinland. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln [u.a.] 2005

Dieter Kastner (Bearb.), Der Rheinische Provinziallandtag und die Emanzipation der Juden im Rheinland 1825 -1845. Eine Dokumentation, 2 Bde., Köln [u.a.] 1989

Elfi Pracht-Jörns (Bearb.), Jüdische Lebenswelten im Rheinland. Kommentierte Quellen von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Köln [u.a.] 2011

Ursula Reuter, Jüdische Gemeinden vom frühen 19. bis zum frühen 21. Jahrhundert, (Geschichtlicher Atlas der Rheinlande, Karte/ Beiheft VIII. 8), Bonn 2007

Ulrike Schrader/ Bastian Fleermann (Hg.), „...Beschränkungen der staatsbürgerlichen Rechte werden hierdurch aufgehoben.“ Die Emanzipation der Juden auf dem Rheinischen Provinziallandtag Düsseldorf, 13. Juli 1843, Düsseldorf 2013

Suzanne Zittartz-Weber, Zwischen Religion und Staat. Die jüdischen Gemeinden in der preußischen Rheinprovinz 1815-1871, Essen 2003

Weitere Informationen: 

Homepage anlässlich des Jubliäums "321 - 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland"

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Foto: Synagoge Roonstraße Köln
Köln, Synagoge Roonstraße (Aufnahme von 2006) © Andreas Schiblon, Landschaftsverband Rheinland