Das Stadttheater in Essen von Heinrich Seeling 1890-1892

Seit 1686 zog sich die wiederkehrende Klage über den Mangel an geeigneten Theaterspielstätten durch die Chronik der Stadt Essen. Notdürftig eingerichtete Theater in Hinterhöfen von Wirten, Aufführungen in Gastwirtschaften und in Scheunentheatern änderten nichts an dieser Situation. Ab 1803 fanden nach der Säkularisierung der Essener Abtei Aufführungen im Kaisersaal der Residenz der Fürstäbtissin statt, bevor das Gebäude 1815 Sitz der Gerichtsverwaltung wurde.

Durch die Industrialisierung der Stadt vermehrte sich die Bevölkerung von 3.500 im Jahr 1800 auf 10.500 im Jahr 1852, als erstmals ein Theaterverein gegründet wurde, welcher nur kurz bestand. Ein zweiter Theaterverein organisierte von 1865 bis 1867 Aufführungen auswärtiger Theatergesellschaften. 1860/61 errichtete die Essener Casino-Gesellschaft ein Vereinsgebäude, in dem 1863 ein Theatersaal für 500 Zuschauer eingerichtet wurde. In der Rottstraße entstand 1876 ein Vaudeville-Theater, das durch seine leichten Unterhaltungsstücke v.a. bei Arbeitern sehr beliebt war. Da das Theater zahlreiche Vergünstigungen von der Stadt erhielt (u.a. erließ man die Armenabgabe und die Einkommenssteuer und lieferte sogar das Gas für die Beleuchtung umsonst), stellte es in gewisser Weise einen Vorläufer des späteren Stadttheaters dar. Längerfristig konnte es aber den kulturellen Bedürfnissen der rasant wachsenden Kommune nicht gerecht werden.

1887, als Essen bereits mehr als 70.000 (am heutigen Stadtgebiet gemessen mehr als 200.000) Einwohner zählte, kündigte der Großindustrielle Friedrich Grillo am 14. Oktober vor der Stadtverordneten-Versammlung an, Essen ein Theater zum Geschenk machen zu wollen und Zeit seines Lebens die Unterhaltungskosten zu tragen. Die Stadt nahm das Geschenk freudig an und kurz darauf wurde Grillo eine von 5.000 Essenern unterschriebene Dankesadresse überreicht.

Grillo verfiel allerdings kurz danach in geistige Umnachtung, wurde in ein Sanatorium gebracht und verstarb bereits am 16. April 1888, noch bevor die Schenkung vollzogen werden konnte. Seine Witwe Wilhelmine stellte aber in Aussicht, das Versprechen ihres Ehemanns einzulösen und so schrieb die städtische Theaterbaukommission am 31. Dezember 1888 einen offenen Architekturwettbewerb für das neue Theater aus.

Außenansicht des Essener Stadttheaters, ca. 1941. Foto: Fritz Köhler. Quelle: Architekturmuseum der TU Berlin, TBS 109,10.

In diesem Wettbewerb wurde verlangt, dass auf den erheblichen Anteil der Arbeiterbevölkerung in der Stadt (44.000 von 74.000 Einwohnern) Rücksicht genommen werden müsse. Die Plätze sollten in vier Gruppen unterteilt werden, wobei der 1. und 2. Platz gemeinschaftliche Zugänge haben konnten, aber von den Zugängen zum 3. und 4. Platz vollständig zu trennen seien. Dadurch wurden die Besucher des Theaters von vornherein in zwei Hauptgruppen zu etwa 300 und 500 Zuschauer getrennt, von denen der kleinere Teil die wohlhabende Bevölkerung und der größere hauptsächlich die Arbeiterschaft enthielt. Die geforderte Trennung der ersten Hauptgruppe in zwei Bereiche, von denen der erste 80 und der zweite 220 bis 260 Personen aufnehmen sollte, ließ darauf schließen, dass der 2. Platz für die bemitteltere Klasse und der 1. Platz mit seiner geringen Zahl von Plätzen für einzelne reiche Familien sowie für hochstehende fremde Besucher der Fabrik- und Zechenbesitzer gedacht war. Die Teilung der zweiten Hauptgruppe in einen 3. und 4. Platz für 200 und 300 Personen beabsichtigte die Trennung der Meister und nächsten Vorgesetzten der Arbeiter sowie des weniger bemittelten Bürgerstands von den Arbeitern.

Auf die Ausschreibung gingen 34 Entwürfe ein. Das Preisgericht entschied sich für den Berliner Architekten Heinrich Seeling (1852‒1932), der zuvor bereits das Stadttheater in Halle gebaut hatte und später zum führenden deutschen Theaterbauspezialisten wurde. Schon während der Bauzeit des Essener Theaters erhielt er den Auftrag für das Berliner Theater am Schiffbauerdamm und es folgten weitere Aufträge für Theaterbauten in Rostock, Bromberg, Aachen, Gera, Frankfurt/M., Nürnberg, Kiel, Freiburg i.B. und Charlottenburg. Nur noch das österreichische Architektenbüro Fellner und Helmer realisierte in Europa mehr Bühnenbauten.

Lageplan und Grundriss des Essener Stadttheaters. Quelle: Architekturmuseum der TU Berlin, 15967.

Wilhelmine Grillo stimmte der Entscheidung des Preisgerichts zu und überreichte am 20. Mai 1889 dem Oberbürgermeister die Schenkungsurkunde über die von ihrem Gatten angekündigten 500.000 Mark. Zusätzlich schenkte sie der Stadt das Grundstück ihres Elternhauses im I. Hagen samt eines später dazugekauften größeren Gartens. Am 31. Mai sicherte zudem Friedrich Alfred Krupp der Stadt eine jährliche Betriebskostenunterstützung von 10.000 Mark für das Theater zu. So begannen im Frühjahr 1890 die Bauarbeiten, die sich allerdings verzögerten und teurer gestalteten als gedacht. Man gab daran dem Bauleiter die Schuld und löste ihn durch einen von Seeling vorgeschlagenen ab. Die massiv gestiegenen Kosten wurden größtenteils von Wilhelmine Grillo übernommen, aber letztlich musste auch die Stadt Essen für ein Viertel der Gesamtkosten aufkommen.

Am 16. September 1892 wurde das Theater mit Beethovens Ouvertüre Zur Weihe des Hauses, einem eigens für die Eröffnung verfassten allegorischen Festspiel, in dem Vater Rhein von seinen Flusstöchtern Rechenschaft fordert, und einer Vorstellung von Lessings Minna von Barnhelm eröffnet.

Längsschnitt des Essener Stadttheaters. Zeichnung von Heinrich Seeling, 1892. Quelle: Architekturmuseum der TU Berlin, 15974.

Die äußere Gestaltung des Theaters erfolgte durch Seeling unter Rückgriffen auf die Formen der Renaissance und des Barock und zeichnete sich durch seine plastische Durchbildung der Wandflächen aus. Besonders auffallend war der durch einen großen Portalbogen markierte Haupteingang, über dem sich ein Dreiecksgiebel erhob. Über der mittleren der drei Eingangstüren des Haupteingangs wurde eine Büste Grillos aufgestellt. Eine mächtige Haube schloss den Bühnenturm ab und setzte einen gewichtigen Massenakzent. Der 747 Sitzplätze fassende, durch einen Kronleuchter erhellte und mit zwei Rängen versehene Zuschauerraum zeigte sich in üppigen neubarocken Formen. Der 2. Platz wurde durch das Parkett gebildet, hinter dem sich, leicht erhöht, die Logengalerie des 1. Platzes befand; der I. Rang bildete den 3. Platz und der II. Rang mit seinen 250 Sitzen und einigen Stehplätzen den 4. Platz. Für dessen Zuschauer weit entfernt fand sich über dem Portalbogen ein Satz aus Goethes Faust: „Nur der verdient sich Freiheit für das Leben, der täglich sie erobern muss.“ Die Witwe Grillo und F. A. Krupp erhielten eigene Ehrenplätze im Theater, vermutlich handelte es sich um die zwei mit Baldachinen bekrönten Proszeniumslogen seitlich des Bühnenportals.

Das Kulissenlager des Theaters war bis 1908 in einem von der Stadtverwaltung angekauften Gebäude schräg hinter dem Theater untergebracht. Der sich als zu klein erweisende Bühnentrakt und das Provisorium für die Kulissen forderten schon 1894 und 1896 Umbaumaßnahmen. Schließlich ließ die Stadt 1907/08 ein neues Kulissenhaus hinter dem Theater errichten, das mit einem Brückengebäude mit der Hinterbühne des Theaters verbunden wurde.

Am 26. März 1944 wurde das Theater bei einem Bombenangriff zerstört. Es wurde 1949/50 (im Inneren in vereinfachten Formen mit nur noch einem Rang und durch einen neun Meter tiefen Vorbau im Stil des Klassizismus der 1930er Jahre vergrößert) wiederaufgebaut und wird heute „Grillo-Theater“ genannt.

 

Sascha M. Salzig M.A.

 

Literatur

Deutsche Bauzeitung, Jg. 23, 1889. Berlin: E. Toeche, 261f.

Mohaupt, Helga (1990): Das Grillo-Theater. Geschichte eines Essener Theaterbaus 1892-1990. Bonn: Bouvier.

Zentralblatt der Bauverwaltung, Jg. 9, 1889. Berlin: Ernst, 179ff., 192f.

Zielske, Harald (1971): Deutsche Theaterbauten bis zum Zweiten Weltkrieg. Typologisch-historische Dokumentation einer Baugattung. Berlin: Selbstverlag der Gesellschaft für Theatergeschichte. (Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 65.)

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Zuschauerraum des Essener Stadttheaters, ca. 1941. Foto: Fritz Köhler. Quelle: Architekturmuseum der TU Berlin, TBS 109,11.