Die Rheinprovinz im Ersten Weltkrieg

Die Euphorie der ersten Kriegswochen zeigte sich hier nicht weniger als in anderen Teilen des Kaiserreiches, allerdings nicht einhellig. Patriotische Begeisterung herrschte mehr in den Städten als auf dem Land, stärker unter Bürgern als unter Arbeitern. Noch in den letzten Tagen des Juli 1914 kam es in Köln, Düsseldorf und Duisburg zu massenhaften Anti-Kriegs-Kundgebungen der Arbeiterschaft, organisiert vom linken Flügel der SPD. Die kritischen Stimmen verebbten zunächst nach Ausbruch des Krieges. 

Die Rheinprovinz war das Hauptaufmarschgebiet des deutschen Westheeres, das 7/8 der gesamten mobilen Streitkräfte mit über einer Million Soldaten umfasste. Allein in die Bereitstellungsräume zwischen Aachen und Trier wurden in den ersten Augusttagen 21 Armeekorps mit ca. 650.000 Soldaten verlegt, um von hier aus den großen Flankenmarsch durch Belgien und Luxemburg – unter Nichtachtung der Neutralität dieser Länder – nach Nordfrankreich anzutreten. Köln bildete den Hauptverkehrsknotenpunkt des deutschen Westaufmarsches und im weiteren Verlauf des Krieges auch den Hauptnachschubplatz des Westheeres.

Die Rheinprovinz war nicht wie Ostpreußen unmittelbar vom Krieg betroffen, einige alliierte Luftangriffe auf größere Städte in der späten Kriegsphase verursachten geringe Verluste und Schäden. Aber die Grenzregion war durch die Nähe zum Hauptkriegsschauplatz früh und stärker als andere mit der Kriegswirklichkeit konfrontiert. Für die zunächst weitgehend improvisierte Unterbringung und Betreuung der ab Ende August eintreffenden Verwundeten und Kriegsgefangenen stellten die Verwaltungen Schulen und andere Gebäude zur Verfügung. Bei der medizinischen Versorgung und Pflege der im Laufe des Krieges immer zahlreicher zurückströmenden Verwundeten wurde der Sanitätsdienst des Militärs wirkungsvoll unterstützt von den Provinzialverbänden des Roten Kreuzes und des Vaterländischen Frauenvereins. Allein die freiwillige rheinische Krankenpflege umfasste während des Krieges rund 18.000 Personen, ganz überwiegend Frauen, davon 6.000 in Feldlazaretten unmittelbar hinter der Front. Die Rheinprovinz unterhielt 16 sogenannte „Lazarettzüge“, die zum Teil mit Firmen-, Vereins- und Privatspenden finanziert wurden. 

Mit Kriegsausbruch trat der Belagerungszustand in Kraft, der den Stellvertretenden Generalkommandos in den Provinzen die vollziehende Gewalt mit Weisungsbefugnis gegenüber den mittleren und unteren Zivilbehörden übertrug. Zentrale Aufgabe dieser nur im Kriegsfall existenten, allein dem preußischen Kriegsministerium unterstehenden Militärbehörden war die Bereitstellung von Ersatz, Ausrüstung und Nachschub für das Feldheer. Dadurch nahm das Stellvertretende Generalkommando des VIII. AK in Koblenz eine Schlüsselstellung auch in allen wirtschaftlichen Belangen der südlichen Rheinprovinz bis Köln ein. Für den nördlichen Teil und damit für die Schwerindustrie des Ruhrgebiets war das Pendant des VII. AK in Münster zuständig.

Der Materialbedarf des Stellungskrieges führte zu gigantischen Rüstungsschüben, die nach Übernahme der Obersten Heeresleitung durch Hindenburg und Ludendorff (3. OHL) im August 1916 noch einmal gesteigert wurden. Das „Hindenburgprogramm“ zielte auf die totale Erfassung der Wirtschaft für die Kriegsproduktion, begleitet vom „Hilfsdienstgesetz“, das die männliche Bevölkerung zwischen dem 17. und 60. Lebensjahr, soweit nicht zum Militär eingezogen, zur Arbeit in einem kriegswichtigen Betrieb verpflichtete. Das Gesetz verankerte auch neue Arbeitnehmerrechte und erkannte die Gewerkschaften erstmals offiziell als Vertreter der Arbeiterschaft an. Diese Konzessionen der Staats- und Militärführung erfolgten im Sinne des vom Kaiser erklärten inneren „Burgfriedens“. 

Der zerbröckelte zusehends angesichts horrender Verlustzahlen, einer sich immer katastrophaler entwickelnden Ernährungslage, eines drastischen Missverhältnisses zwischen Löhnen und Gewinnen, von Existenznot der Arbeiterschaft und Verarmung des Mittelstands. Sehr viele Ehefrauen von Frontsoldaten waren, neben der Sorge für Kinder und Haushalt, auf zusätzliche Lohnarbeit angewiesen. Ohnehin musste die ausfallende Arbeitskraft der Männer weitgehend durch Frauenarbeit kompensiert werden. In der Rüstungsindustrie stieg der Frauenanteil zwischen 1914 und 1918 von 7% auf 35%.

Nach dem berüchtigten „Steckrübenwinter“ 1916/17 kam es zu fortgesetzten Streiks auch in der rheinischen Rüstungsindustrie. Dabei artikulierten sich auch Forderungen nach Verständigungsfrieden, Annexionsverzicht und Republik. Die Abspaltung des linken Parteiflügels (USPD) von den gemäßigten Sozialdemokraten und die Gründung der Deutschen Vaterlandspartei (DVLP) auf der extremen Rechten weisen auf eine zunehmende innenpolitische Segmentierung und Radikalisierung, die auch in der Rheinprovinz erfolgte. 

Nach Unterzeichnung des Waffenstillstands am 11. November 1918 musste das Westheer in 15 Tagen auf die rechte Rheinseite zurückgeführt werden, da anschließend die linksrheinischen Gebiete und die Brückenköpfe um Mainz, Koblenz und Köln durch alliierte Truppen besetzt wurden. 

Literatur: 

Norbert Büllesbach, Aus dem Rheinland in den Krieg, mit einem rheinischen Infanterie-Regiment auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs, München 2015

Beate Dorfey, Kaiser-Koblenz-Krieg. 1914 an Rhein und Mosel (Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz), Koblenz 2014

Heinrich-Theodor Grütter/ Walter Hauser (Hg.), 1914 – mitten in Europa. Die Rhein-Ruhr-Region und der Erste Weltkrieg, (Ausst.-Kat. Essen, LVR-Industriemuseum und Ruhr-Museum auf der Kokerei Zollverein 30.04-26.10.2014), Essen 2014

Gerhard Hirschfeld/ Gerd Krumeich/ Irina Renz, Enzyklopädie Erster Weltkrieg, (2. Auflage), Paderborn 2014

LVR – Freilichtmuseum Kommern, Kriegs(er)leben im Rheinland, zwischen Begeisterung und Verzweiflung, (Ausst.-Kat. Kommern, LVR-Freilichtmuseum Kommern 29.06.2014-18.10.2015), Köln 2014

Michael Kißener, Das linksrheinische Deutschland im Ersten Weltkrieg. Vergleichende Beobachtungen im frontnahen Heimatgebiet, in: Historische Mitteilungen 28 (2016), S. 15-29

Achim Konejung, Das Rheinland und der Erste Weltkrieg, Aufmarschgebiet – Heimatfront-Besatzungszone, Rheinbach 2013

Stefan Lewejohann, Kriegsgefangene in Köln, Das Kriegsgefangenenlager in Wahn und die Kriegslazarette, in: Petra Hesse/ Mario Kramp/ Ulrich S. Soénius (Hg.), Köln 1914, Metropole im Westen, Köln 2014, S. 213- 220

Klaus Tenfelde, Krupp in Krieg und Krisen, Unternehmensgeschichte der Fried. Krupp AG, 1914 bis 1924/25, in: Lothar Gall (Hg.), Krupp im 20. Jahrhundert. Die Geschichte des Unternehmens vom Ersten Weltkrieg bis zur Gründung der Stiftung, Berlin 2002, S. 17-118

Unterthemen: 

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Foto: Figurine eines Deutschen Infanteristen an der Westfront
Inszenierung mit Figurine, Deutscher Infanterist an der Westfront 1917
Rekonstruktion unter Verwendung von Originalteilen: Feldbluse M 1915, Stahlhelm M 1916, Gasmaske, Stielhandgranate © LVR-Niederrheinmuseum Wesel
Foto: Ersatzbratpfanne aus Eisen 1916
Ersatzbratpfanne aus Eisen 1916, Inschrift: Der Deutschen Hausfrau Opfersinn gab Kupfer für das Eisen hin, Im Weltkrieg 1916, © LVR-Niederrheinmuseum Wesel