Haben Sie gedient?

Auch im preußischen Westen erhielt der Status des „Gedienten“ eine zunehmend größere soziale Relevanz, seitdem die Kriegssiege von 1866 und 1870/71 das Ansehen der Armee im Kaiserreich erheblich gesteigert hatten. Zwar wurde dem Berufsoffizier an Rhein und Ruhr nicht die „halbgottähnliche“ Verehrung entgegengebracht wie in Altpreußen, aber er verfügte auch hier über ein hohes Sozialprestige. Das preußische Offizierkorps, in seinen höheren Rängen noch ganz überwiegend adlig, galt als staatstragende Elite. Dieser als Einjährig-Freiwilliger und Reserveoffizier wenigstens zeitweise anzugehören, wurde auch im höheren und mittleren Bürgertum der Rheinprovinz zu einem begehrten gesellschaftlichen Statussymbol.  

Wehrpflichtige konnten die zwei- bzw. dreijährige Dienstzeit (Kavallerie, Marine) auf ein Jahr verkürzen, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt waren: ein der „mittleren Reife“ entsprechender Schulabschluss sowie der Vermögensnachweis, für Bekleidung, Ausrüstung und Verpflegung selbst aufkommen zu können. Die erforderlichen Kosten betrugen um 1900, je nach Waffengattung und Regiment, ca. 1.500 bis 2.500 Reichsmark; der Jahreslohn eines Bergmanns betrug seinerzeit etwa 1.000 RM.

Die Einjährig-Freiwilligen konnten die Waffengattung wählen und auch Wünsche bezüglich des Regiments äußern. Sie speisten mit den Offizieren und verkehrten auch nach Dienst in deren Gesellschaft. Sofern sie nach ihrem Dienstjahr mehrere Übungen absolvierten und entsprechende Prüfungen ablegten, konnten sie zu Reserveoffizieren ernannt werden. Der Reserveoffizier trug den „bunten Rock“ nicht nur bei Übungen und Manövern, sondern zeigte sich darin auch stolz im Heimatort bei öffentlichen Feiern und Gedenktagen.

In Preußen und nach 1871 auch im Deutschen Reich erfolgte die Annahme eines Bewerbers durch geheime Wahl aller übrigen Offiziere des entsprechenden Truppenteils. Ablehnungen brauchten nicht begründet zu werden, eine gesetzliche Einspruchsmöglichkeit gegen den Wahlentscheid bestand nicht. Die Auswahlmechanismen blieben der Kommandogewalt des Monarchen überantwortet und parlamentarischer Kontrolle entzogen.

War bereits durch die Bedingungen des Einjährig-Freiwilligen-Dienstes eine erste soziale Selektion gegeben, ermöglichte darüber hinaus das Wahlverfahren zum Reserveoffizier den Ausschluss politisch oder konfessionell missliebiger Bewerber. So wurden etwa zwischen 1880 und 1914 in Preußen keine jüdischen Reserveoffiziere ernannt.

Öffentliche und staatliche Anerkennung des Wehrdienstes stärkte auch die Militärfreudigkeit in den unteren Gesellschaftsschichten. Nach 12-jähriger Dienstzeit erhielten Unteroffiziere mit dem Zivilversorgungsschein Zugang zum mittleren Verwaltungsdienst. Die Uniform verlieh auch den einfachen jungen Soldaten in ihren privaten sozialen Milieus eine gehobene Reputation. So gab es auch in der Rheinprovinz ebenso wenig Dienstverweigerungen und Desertionen wie in den übrigen Provinzen. Eine Fülle erhaltener Reservistica (Andenken an die eigene Dienstzeit) künden von der Popularität des Militärdienstes.

 

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Einjährig-Freiwilliger im Kürassier-Regiment Graf Gessler (Rheinisches) Nr. 8 in Deutz
Waffenrock, Schneiderei A. Keck, Köln-Deutz um 1895, Helm M 1889 für Mannschaften der Linien- Kürassier- Regimenter, LVR-Niederrheinmuseum Wesel
Der unbekannte Träger dieser Uniform war etwa 19 bis 25 Jahre alt. Seine Familie gehörte dem rheinischen Adel oder höheren Bürgertum
an. In einem exklusiven Kavallerieregiment wie den Deutzer Kürassieren gehörte zu den selbst zu tragenden Kosten auch der Ankauf und Unterhalt von ein bis zwei eigenen Pferden.
Leutnant der Reserve im Infanterie-Regiment Vogel von Falckenstein (7. Westfälisches) Nr. 56 in Wesel
Waffenrock um 1897, Helm M 1897 für Reserve-Offiziere der Linien-Infanterie mit Landwehrkreuz, Parade- Schärpe für Offiziere,
LVR- Niederrheinmuseum Wesel
Der unbekannte Träger dieser Uniform war etwa 28 bis 40 Jahre alt, im Zivilberuf leitender Angestellter, möglicherweise auch Inhaber einer eigenen Firma bzw. Kanzlei oder Beamter im höheren Dienst.