Preußisches Militär in der Rheinprovinz 1815-1914
Ab Ende Juni 1815 wurde auch in den neuen Rheinprovinzen ein Großverband mit Hauptquartier in Koblenz stationiert. Dieser firmierte seit 1820 bis 1918 als „VIII. (Rheinisches) Armeekorps“. Die dem VIII. AK unterstehenden Einheiten garnisonierten jedoch nur im südlichen Teil der Rheinprovinz(en) bis Köln, während der nördliche Teil zum Bezirk des VII. (Westfälischen) AK in Münster gehörte.
Die Preußen auf dem Wiener Kongress zugedachte „Wacht am Rhein“ gegen Frankreich stützte sich auf einen Gürtel von aus- bzw. neugebauten Festungen: Wesel-Jülich-Köln-Koblenz-Ehrenbreitstein-Saarlouis. Auch für die Bundesfestungen Mainz und Luxemburg stellte Preußen einen Teil der Besatzungen. Insgesamt waren in der vormärzlichen Rheinprovinz ca. 23.000 Soldaten stationiert. Die Quote der Militärpersonen in Relation zur Zivilbevölkerung betrug hier bis 1848 um 1%. 17 Städte waren mit Garnisonen belegt, die größten bestanden in Köln (mit Deutz), Koblenz (mit Ehrenbreitstein), Wesel und in den ehemaligen Residenzen Düsseldorf, Bonn und Trier. Die Militärpräsenz war begleitet von sozial relevanten Institutionen: Allgemeine Wehrpflicht, Landwehr, Einjährig-Freiwilliger Dienst.
Der herausgehobene Status, über den die Armee in den ostelbischen Provinzen traditionell verfügte, wurde ihr von der rheinpreußischen Zivilgesellschaft nicht zuerkannt. Gerade auf das Militär, insbesondere auf dessen überwiegend ostelbisch-adliges und sozial exklusives Offizierkorps, projizierten sich gebündelt antipreußische Vorbehalte und Ressentiments. Die Landwehr, von den preußischen Reformern den aktiven Regimentern als „Bürgerheer“ an die Seite gestellt, verlor im Laufe der Restauration zusehends an militärischer Schlagkraft und Bedeutung und konnte keine wesentliche sozialintegrative Wirkung entfalten.
Vereinzelte Militäreinsätze gegen zivile Unruhen und Ausschreitungen in der vormärzlichen Rheinprovinz trugen nicht zum Sympathiegewinn bei, zumal wenn diese unverhältnismäßig massiv erfolgten. In der Revolution 1848/49 erwies sich das stehende preußische „Königsheer“ als wichtigster Garant monarchischer Machtsicherung. Es etablierte sich dabei auch in den Augen des liberalen Bürgertums als entscheidende Ordnungsmacht. Auch in der Rheinprovinz kam es zu blutigen Barrikadenkämpfen, die heftigsten im Mai 1849 in Düsseldorf und Elberfeld.
Die preußische Verfassung von 1848/50 beließ der Krone die Kommandogewalt über die Armee. Entscheidungen über deren Zusammensetzung, Bewaffnung und Dislokation blieben allein dem König überlassen, in der Praxis den militärischen Führungseliten. Dem Parlament verblieb mit dem Budgetrecht allenfalls eine periphere Kontrollfunktion. Über eine 1859 vorgelegte Heeresreform (Vermehrung der aktiven Regimenter, Reduzierung der Landwehr, verlängerte Dienstzeit) kam es zum gravierenden Konflikt zwischen Krone und überwältigender liberaler Mehrheit des preußischen Abgeordnetenhauses um die künftige Machtverteilung.
Letztlich entschied diesen Konflikt zugunsten der Krone der außenpolitische Erfolg des 1862 zum preußischen Ministerpräsidenten berufenen Otto von Bismarck im „Deutschen Krieg“ gegen Österreich 1866. Bis 1918 blieb es bei den monarchischen Privilegien und eingeschränkten Rechten des Parlaments, besonders auch bei einer fehlenden parlamentarischen Kontrolle des Militärwesens. So konnte seit 1871 auch der Reichstag nicht (mit)entscheiden bei Militäreinsätzen gegen Zivilisten (etwa bei den großen Streiks im Ruhgebiet 1889 und 1905) oder hinsichtlich der Auswahl von Offiziers- bzw. Reserveoffiziersbewerbern.
Demgegenüber blieben die Reichsgründung von 1871 und der nationale Gedanke im öffentlichen Bewusstsein mit den militärischen Erfolgen im Krieg gegen Frankreich verknüpft, was dem (preußischen) Offizierkorps und dem Soldatenstand überhaupt nun auch in der Rheinprovinz ein bedeutend gesteigertes Sozialprestige verschaffte. Die neue Militäraffinität reichte bis in Schichten und Milieus, welche ansonsten eher in Opposition zum preußisch-deutschen Obrigkeitsstaat standen. Das rheinpreußische Besitz- und Bildungsbürgertum drängte vermehrt in militärische Führungsstellen, wenn auch der relative Anteil von aus der Rheinprovinz stammenden Berufsoffizieren um 1900 noch deutlich geringer war als in den ostelbischen Provinzen. Dafür wurden nun auch im preußischen Westen das Reserveoffizierspatent und der vorher geleistete Einjährig-Freiwillige Dienst zu begehrten sozialen Statussymbolen.
Im Deutschen Reich kam es wie in den übrigen westeuropäischen Staaten zu einer engeren Verzahnung zwischen Zivilgesellschaft, Militärwesen und Militärkultur, wurde der „Soldat“ zu einem zeitgenössischen Ideal attraktiver Männlichkeit. Im wilhelminischen Preußen, differenziert auch in seiner Rheinprovinz, waren militärische Präsenz und Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit sowie das Vordringen militärischer Normen und Verhaltensweisen in zivile Bereiche wohl am stärksten ausgeprägt.
Die „soziale Militarisierung“ stellte andererseits einen bedeutenden Faktor zur weiteren Integration der Rheinprovinz dar. Der Dienst in den „rheinischen“ Regimentern und die anschließende Mitgliedschaft in den zahlreichen Kriegervereinen stärkte regionale Identitäten und bot den Wehrpflichtigen Teilhabe am sozialen Prestige des „Gedienten“.
Literatur:
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Burgen, Schlösser, Altertümer. Rheinland-Pfalz und Deutsche Gesellschaft für Festungsforschung e.V. (Hg.), Neue Forschungen zur Festung Koblenz und Ehrenbreitstein (Band 1), Regensburg 2005
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Hartwin Spenkuch, Preußen – eine besondere Geschichte. Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648-1947, Göttingen 2019, S. 141-158
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Thomas Tippach, Koblenz als preußische Garnison- und Festungsstadt, Wirtschaft, Infrastruktur und Städtebau, (zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1996), Köln [u.a.] 2000
Michael P. Vollert, Für Ruhe und Ordnung, Einsätze des Militärs im Innern (1820-1918), Preußen – Westfalen – Rheinprovinz, Bonn 2014
Unterthemen:
> Preußische Militärreformer in Koblenz
> Landwehr der Rheinprovinz im Vormärz
> Heeres- und Verfassungskonflikt
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