Landwehr der Rheinprovinz im Vormärz

Die preußischen Landwehrbataillone wurden alljährlich zu einer vierzehntägigen Übung zusammengezogen. Carl Schorn (1818-1900), Jurist im höheren preußischen Justizdienst und Leutnant der Landwehr, berichtet 1898 in seinen Lebenserinnerungen über eine Übung des Landwehrbataillons Nr. 36 (etwa 500 Mann) in seiner Heimatstadt Essen im Sommer 1840.

Bereits die öffentliche Einkleidung vor großer Zuschauermenge habe „zu manchen komischen Scenen Anlaß“ gegeben, verursacht durch staatliche Sparzwänge.Die alten „Uniformfracks“ waren meist zu eng und bei Regentagen sowie beim Außendienst blieben die Wehrmänner auf ihre zivilen Beinkleider und eigenes Schuhwerk angewiesen. Die Vorgesetztenhätten den Spott des Publikums ruhig hinnehmen müssen. „Man würde heute vor Erstaunen sich nicht fassen, sähe man ein Bataillon in solch bunter, fast carnevalistischer Verfassung.“

Johann Gottlieb Fichte als Mitglied des Berliner Landsturms, Storch und Kramer, Berlin 1813, Farbdruck nach einer Zeichnung von Clemens von Zimmermann, LVR-Niederrheinmuseum Wesel

Seit 1813 bestand im Kriegsfall die mobile preußische Streitmacht zu gleichen Teilen aus dem „stehenden“ Heer mit den aktiven Garde- und Linienregimentern und der Landwehr „1.Aufgebots“. Dieses umfasste alle Männer zwischen 26 und 32 Jahren, die bereits ihren aktiven Wehrdienst geleistet hatten, sowie alle nicht eingezogenen 21- bis 32-jährigen Wehrpflichtigen. Danach standen noch sieben Dienstjahre im „2. Aufgebot“ (32.-39. Lebensjahr), das im Kriegsfall nicht mit ins Feld rückte.

Die Landwehroffiziere lebten im selben Bezirk wie die Wehrmänner, hatten als Einjährig-Freiwillige in einem aktiven Regiment gedient, waren auf Vorschlag der Kreisverwaltung von den übrigen Landwehroffizieren ihrer Einheit gewählt und vom König patentiert. Die Offiziere vom Bataillonskommandeur aufwärts, Adjutanten und Bezirksfeldwebel dagegen waren Angehörige des stehenden Heeres und bildeten die festen Kader.

Wegen ihrer zivilen und lokalen Bindungen war die Miliz von den Liberalen hoch geschätzt und aus denselben Gründen ein Dorn im Auge der Altständisch-Konservativen, die nur im stehenden „Königsheer“ einen verlässlichen Garanten für Krone und Vaterland sahen. In den Befreiungskriegen 1813/15 hatten sich die neuen Landwehrverbände alles in allem bewährt. Doch im Zuge der Restauration verlor die Landwehr bald an Selbstständigkeit und Bedeutung gegenüber der Linie, was auch im sinkenden militärischen Leistungsstand und Erscheinungsbild zum Ausdruck kam.

Auch für Hunderttausende Rheinländer war der Landwehrdienst ein Bestandteil des Lebens bis zum 40. Geburtstag. Die Wehrmänner waren ganz überwiegend respektable Familienväter und mit ihren unmittelbaren Vorgesetzten oftmals aus dem zivilen Alltag bekannt. Eine strenge dienstliche Disziplin wie im aktiven Heer ließ sich daher bei der Landwehr nicht handhaben.  Für Familien der ländlichen und städtischen Unterschichten bedeuteten die Übungen und zusätzlichen eintägigen Appelle oft einen kaum verkraftbaren Lohnausfall. Ein unentschuldigtes Fernbleiben in beträchtlich hoher Anzahl war daher in den rheinischen Landwehrbataillonen im Vormärz an der Tagesordnung.

Besonders in den Westprovinzen bekundeten 1848/49 auch zahlreiche Landwehrangehörige öffentlich ihre Sympathien für liberal-demokratische Forderungen. Gravierende Fälle von Befehlsverweigerung und revolutionärer Aktion von Wehrmännern oder gar ganzer Einheiten blieben auf wenige Städte wie Elberfeld, Köln und Iserlohn beschränkt. Dennoch nährten diese Vorfälle neben den Vorgängen in Berlin obrigkeitliche Zweifel an der Loyalität der Landwehr insgesamt. Da auch deren rein militärische Defizite im Mobilmachungsfall unübersehbar geworden waren, hatte die Armeeführung seit 1850 eine Heeresreform auf der Agenda.

 

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Tschako für Offiziere der Landwehrkavallerie
Preußen um 1815, LVR-Niederrheinmuseum Wesel
Landwehr- Infanteriesäbel nach dem Muster des altpreußischen Infanteriesäbels, Schimmelbusch und Joest,
Solingen um 1816, LVR-Niederrheinmuseum Wesel