Königlich Preußische Offiziere und „Communisten“

„Dies Artillerie-Corps habe ich bei dieser Gelegenheit genauer kennen gelernt, da ich bisher nur selten mit ihnen zusammengetroffen war und ich habe meine hohen Erwartungen vollkommen bestätigt gefunden. … Sehr viele sind philosophisch und wissenschaftlich durchgebildet, keiner indifferent gegen höhere Interessen, alle dem Sozialismus mehr oder weniger nahestehend. Den ganzen Tag über wurde kein uninteressantes Wort gesprochen, kein unbedeutender Gegenstand berührt, ...“

So berichtete der Bonner Jura-Student Carl Keller im Mai 1846 von einem Besuch in Wesel, der ihn mit Friedrich Anneke (1818-1872) und August von Willich (1810-1878) in Kontakt brachte. Die beiden bekannten Protagonisten der deutschen Revolution dienten seinerzeit als königlich preußische Offiziere in der 7. (Westfälischen) Artilleriebrigade. 

Die Brigade erlangte eine gewisse „Berühmtheit“ als diejenige preußische Militäreinheit, in deren Offizierkorps sich massiv frühsozialistisches und revolutionäres Gedankengut entfaltet hatte. Ihre Standorte in Münster, Wesel, Düsseldorf, Köln und Jülich lagen in der Nähe sozialökonomischen Umbruchs sowie liberaler, demokratischer und frühsozialistischer Einflussquellen. Die Artillerie verfügte militärintern über geringeres Ansehen als die Infanterie oder gar Kavallerie. Andererseits stellte die „moderne“ Waffe höhere technisch-wissenschaftliche Qualifikations- und Leistungsansprüche und bot damit bürgerlichen Offiziersbewerbern gute Karrierechancen. So stammten fünf Sechstel des Offizierkorps der 7. Artilleriebrigade aus bürgerlichen Elternhäusern überwiegend der westlichen Provinzen. 

Kanonier der Gardeartilleriebrigade um 1830, Ludwig Elsholtz, Carl Rechlin, Johann Karl Schultz, altkolorierte Lithographie, Serie „Das Preußische Heer“, Berlin 1830 © LVR-Niederrheinmuseum Wesel

Die Relegation des Leutnants Anneke aus der Armee 1846 löste eine erhebliche öffentliche Resonanz aus. Bei der 3. Abteilung in Wesel, wo Anneke bis 1844 gestanden hatte, kam es zu beispiellosen, öffentlichen Solidaritätsbekundungen der jüngeren Offiziere für den Relegierten. Sein Freund Willich geriet darüber endgültig in den Fokus der höheren Stellen in Münster und Berlin und sah sich 1847 zum Abschied gezwungen. Sieben weitere Offiziere der Weseler Abteilung wurden strafversetzt, andere degradiert, der Abteilungs- und der Brigadekommandeur erhielten den Abschied. Mit den Abstrafungen war im Offizierkorps der 7. Artilleriebrigade jeglicher Oppositionsgeist gebändigt. 

Anneke zog mit seiner Ehefrau Mathilde (1817-1884) nach Köln, Willich folgte ihnen ein gutes Jahr später. Als Mitglieder im geheimen, von Marx und Engels begründeten „Bund der Kommunisten“ und prominente Revolutionäre traten sie in den weiteren Raum der deutschen Geschichte. Annekes Ehefrau Mathilde (1817-1884) als Pädagogin und Frauenrechtlerin sowie Willich als Aktivist der frühen amerikanischen Arbeiterbewegung und Brigadegeneral der Unionstruppen im Bürgerkrieg schrieben sich darüber hinaus auch in die Geschichte der USA ein. 

(Helmut Langhoff)

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„Erinnerung an das Jahr 1849“, Aufstand in Baden, unbekannt, 1898, kolorierter Druck, rechts Georg Böhning, Kommandandeur der Flüchtlingslegion, am 17. August 1849 standrechtlich erschossen © LVR-Niederrheinmuseum Wesel