DIE RHEINPROVINZ DES FREISTAATS PREUSSEN IN DER WEIMARER REPUBLIK – POLITISCHE RAHMENBEDINGUNGEN UND ENTWICKLUNGEN

Die preußische Rheinprovinz, verkleinert um die an Belgien abzutretenden Kreise Eupen und Malmedy sowie um das neutralisierte Saarland, war seit Ende 1918 zum größten Teil von alliierten Truppen besetzt. Das mit dem Versailler Vertrag verbundene Rheinlandabkommen (28. Juni 1919) legte eine französische, englische, amerikanische und belgische Besatzungszone auf dem linken Rheinufer und deren Räumungsfristen völkerrechtlich fest. Hinzu kamen rechtsrheinisch besetzte Brückenköpfe um das kurhessische Mainz, Koblenz und Köln.

Nachdem das Deutsche Reich mit den auferlegten Reparationen in Rückstand geraten war, besetzten Franzosen und Belgier im Frühjahr 1921 zusätzlich Düsseldorf, Duisburg und Hamborn. Von Januar 1923 bis August 1925 erfolgte die Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich und Belgien. Im Zuge der sich entspannenden außenpolitischen Lage begann ab 1926 die Räumung des besetzten preußischen und sonstigen deutschen Rheinlands, die bis 1930 abgeschlossen war. 

Der preußische Staat blieb nach längeren Debatten in seiner früheren territorialen Gestalt und provinzialen Gliederung fortbestehen, als größter und bedeutendster Gliedstaat auch der Weimarer Republik, reduziert allerdings durch erhebliche Gebietsabtretungen und ohne seine hegemoniale Stellung im untergegangenen Kaiserreich. Rheinische und französisch-belgische Bestrebungen zugunsten eines separaten rheinischen oder rheinisch-westfälischen Teilstaats zu Anfang der 20er Jahre blieben erfolglos. Die Mehrheit der Rheinländer befürwortete den Verbleib bei Preußen, freilich ganz überwiegend aus nationalen Motiven. Diesen lag die Befürchtung zugrunde, dass eine Trennung von Preußen eine gänzliche Abtrennung von Deutschland nach sich ziehen würde.

Neben den politischen, wirtschaftlichen und emotionalen Belastungen der Besatzung litten Teile der Rheinprovinz seit dem Waffenstillstand vom 9. November 1918 bis 1920 unter revolutionären Unruhen, Massenstreiks und bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Nach dem Waffenstillstand bildeten sich in den größeren Städten schnell Arbeiter- und Soldatenräte. Jedoch verhinderte das Bündnis von SPD, bürgerlichen Parteien und Gewerkschaften mit Verwaltung und Militär auch in der Rheinprovinz ein räterepublikanisches System nach sowjetischem Vorbild. 

Nachdem die antidemokratische Rechte im Frühjahr 1920 mit dem Kapp-Putsch an einem Generalstreik gescheitert war, blieben im Ruhrgebiet Hunderttausende Arbeiter im Ausstand. Die radikale Linke stützte sich bei der Weiterführung der Revolution auf die Rote Ruhrarmee, einen Kampfverband von etwa 50.000 bewaffneten Arbeitern. Ihr Vormarsch nach Norden wurde an der Lippe, unmittelbar südlich Wesels, gestoppt. Die Reichsregierung setzte dazu neben regulärem Militär auch Freikorps ein, rechtskonservative bis rechtsextreme Freiwilligenverbände. Diese marschierten dann ins Ruhrgebiet ein und schlugen den Aufstand blutig nieder.

Danach kam es in Preußen zu einer engeren Kooperation von Zentrum und SPD, die ganz wesentlich alle Koalitionsregierungen von 1920 bis 1932 trugen. In diesen Jahren amtierte der Sozialdemokrat Otto Braun (1872-1955) fast ausschließlich als Ministerpräsident. Während auf Reichsebene die Regierungen in rascher Folge wechselten, blieb die Koalition in Preußen stabil. Im preußischen Landtag stellte die SPD bis zu den Wahlen 1932 stets die mit Abstand stärkste Fraktion. In der Rheinprovinz dagegen lag das Zentrum weit vorn, das hier bei den Wahlen zum preußischen Landtag 1919 einen Stimmenanteil von 50,3 % erreichte (SPD 25,1%) und noch 1932 mit 34,6 % vor der NSDAP lag (28,3%).

Den preußischen Provinzen war verfassungsgemäß ein stärkeres politisches Eigengewicht gegenüber dem Gesamtstaat gegeben. Sie stellten die Hälfte der preußischen Vertreter im Reichsrat und verfügten mit dem Preußischen Staatsrat in Berlin neben dem Landtag über ein zentrales Vertretungsorgan. Sein Präsident von 1921 bis 1933 war der Zentrumspolitiker und Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer (1876-1967), später erster Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Die Provinziallandtage wurden nunmehr einschließlich des seit 1919 in Deutschland geltenden Frauenwahlrechts direkt von der Bevölkerung gewählt.  Bei den Wahlen zu den Provinziallandtagen der Rheinprovinz dominierte eindeutig das Zentrum, mit satten 45,5 % 1921 (SPD 15,7%) und immerhin noch 32,1 % im Mai 1933 bei der letzten, nicht mehr wirklich freien Wahl (SPD 9,5%, KPD 11,1%, NSDAP 38 %). Die fortbestehenden Organe der provinzialen Selbstverwaltung traten in eine neue demokratische Phase ihrer Entwicklung. An der Spitze des Provinzialverbands der Rheinprovinz stand seit 1922 mit dem Landeshauptmann Johannes Horion (1876-1933) ein gebürtiger und bekennender Rheinländer, der bereits seit 1904 als Landesrat für das Wohlfahrtswesen der Provinz zuständig war. 

Der in Köln geborene Wilhelm Marx, (1863-1946) war 1922-1928 Parteivorsitzender des Zentrums, mehrfach Reichskanzler und ganz kurzfristig auch preußischer Ministerpräsident. Bei der Reichspräsidentenwahl 1925 verlor Marx als Kandidat der Weimarer Koalition nur knapp gegen den ehemaligen preußischen Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg. In den beiden preußischen Westprovinzen erhielt Marx die weitaus meisten Wählerstimmen, ebenso in Preußen überhaupt. Dieser Wahlvorgang kann durchaus als Richtungsentscheidung in der Weimarer Republik gesehen werden.  

Die Rheinprovinz hatte niemals zuvor eine vergleichbare politische Eigenständigkeit besessen. Mit ihrer Schwesterprovinz Westfalen war sie zugleich als nationales Krisengebiet in entscheidendem Maße auf die Unterstützung des Gesamtstaats und besonders des Reichs angewiesen. Preußen war mittlerweile viel zu sehr mit dem Reich verschmolzen, als das es einen eigenen Weg hätte gehen und verteidigen können.

Dies zeigte sich auch, als nach der Konsolidierungsphase zwischen 1925 und 1930 die Republik in ihre Endphase eintrat. Nach den Landtagswahlen im April 1932 verfügten NSDAP und KPD zusammen auch im preußischen Landtag über eine „negative Mehrheit“. Die bisherige Regierung blieb auch ohne parlamentarische Mehrheit im Amt, geschützt von der noch kurz zuvor erlassenen Bedingung eines konstruktiven Misstrauensvotums. Der deutschnationale Reichskanzler Franz von Papen, gestützt auf eine Präsidialverfügung Hindenburgs, nutzte die Patt-Situation zur staatsstreichartigen Entmachtung der preußischen Regierung. Der so genannte „Preußenschlag“ vom 20. Juli 1932 beendete die Autonomie des demokratischen Freistaats Preußen und bedeutete einen großen Schritt auf dem Weg in die Diktatur.

Literatur:

Frank Bischoff/ Guido Hitze/ Wilfried Reininghaus (Hg.), Aufbruch in die Demokratie. Die Revolution 1918/19 im Rheinland und in Westfalen, Beiträge der Tagung am 8. und 9. November 2018 in Düsseldorf, Münster 2020

Geschichte im Westen, Rheinland, Westfalen und Preußen in der Weimarer Republik (Heft 31), Essen 2016

Regine Göschl/ Julia Paulus (Hg.) Weimar im Westen. Republik der Gegensätze, Münster 2019

Benedikt Neuwöhner/ Georg Mölich/ Maike Schmidt (Hg.), Die Besatzung des Rheinlandes 1918 bis 1930. Alliierte Herrschaft und Alltagsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg, (= Schriftenreihe der Niederrhein-Akademie (Band 12)), Bielefeld 2020

Wilhelm Ribhegge, Preußen im Westen. Kampf um den Parlamentarismus in Rheinland und Westfalen 1789-1947, Münster 2008

Martin Schlemmer, Rheinland und Westfalen im neuen Preußen der Weimarer Republik (1919-1932), in: Georg Mölich/ Veit Veltzke/ Bernd Walter (Hg.), Rheinland, Westfalen und Preußen. Eine Beziehungsgeschichte, Münster 2011, S. 289-352

Unterthemen: 

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Wahlplakat: Wilhelm Marx
Wahlplakat für Wilhelm Marx zur Wahl des Reichspräsidenten 1925, Edgar Scheibe, Berlin 1925, kol. Druck © LVR-Niederrheinmuseum Wesel
Karte: Rheinlandbesetzung und Ruhrkampf
Rheinlandbesetzung und Ruhrkampf © Irmgard Hantsche