Kleidung für Kinder?

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Jungenportrait: Junge im Matrosenanzug steht für das Portrait vor einem Baum. Im Hintergrund befindet sich ein Gebäude. Der Junge trägt einen Beutel um den Hals, eine Mütze auf dem Kopf und stützt sich auf einen Stock. Kreis Ahrweiler, 1902-1910

Der Fallhut und die Verwahrung von Kindern

Nicht nur die rechtliche Situation von Kindern hat sich über die Jahre verändert, auch der Umgang mit ihnen unterlag und unterliegt bis heute einem starken Wandel. Ein bis um 1800 (in ländlichen Gegenden noch länger) in allen sozialen Schichten häufiges Kleidungsstück war der Fallhut, welcher exemplarisch für die damalige Situation in Familien stehen kann. Da in den meisten Schichten die gesamte Hausfamilie in Arbeitskontexte eingebunden war und Kindern keine durchgehende Aufmerksamkeit geschenkt werden konnte, zog man den Kindern einen Fallhut auf. Diese einem Sturzhelm ähnelnde Kopfbedeckung wurde von Kindern so lange getragen, bis sie eigenständig sicher stehen und laufen konnten und zudem über Tischkanten und andere Gefahrenstellen hinausgewachsen waren. So konnten sich die Erwachsenen unbesorgter anderen Tätigkeiten widmen und größere Verletzungen vermeiden. Auch oblag die Aufsicht häufig den älteren Geschwistern.

Aber nicht immer gelang es die Kinder zu beaufsichtigen, sodass diese insbesondere im Zuge der Industrialisierung, als die Erwerbsarbeit zunehmend außer Haus in Fabriken erledigt wurde, teils unbeaufsichtigt zu Hause waren. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts kam es so unter anderem zu Brandunfällen, bei denen Kleinkinder ihr Leben verloren. Noch in den Jahren 1839, 1840 und 1841 sind Brandunfälle dokumentiert, bei denen je ein Kleinkind verstarb. Dabei wurde in Köln bereits im Jahr 1818 durch Regierungsrat Johann Baptist Fuchs der Vorschlag eingebracht, sogenannte Gemeindestuben einzurichten, in denen die Kinder zur Aufsicht gebracht werden konnten.

In Westfalen entstand bereits 1802 die erste Kinderbewahranstalt in Detmold auf Bestreben von Fürstin Pauline von Lippe-Detmold. In Preußen gab es 1851 382 solcher Anstalten mit mehr als 25.000 Kindern: „im Regierungsbezirk Düsseldorf insgesamt 85 Bewahranstalten, in Berlin 33, im Regierungsbezirk Aachen 32, im Regierungsbezirk Potsdam 24, in den Regierungsbezirken Arnsberg und Köln 21 bzw. 20, in den Regierungsbezirken Minden und Münster jedoch nur fünf bzw. drei“.[1] Neben den Kinderbewahranstalten sind zudem die sich unter Napoleon gegründeten „Sociétés maternelles“ (übersetzt: Gesellschaften mütterlicher Wohltätigkeit) von Bedeutung. Diese vor allem im Raum Köln-Aachen agierenden Gruppen unterstützten Frauen und Kinder aus den unteren Schichten. Die Arbeit wurde unter Preußen von (patriotischen) Frauenvereinen in nahezu allen großen Städten fortgeführt. Auch ergriffen Privatpersonen und Kommunen die Initiative zum Bau von Waisenhäusern auf Basis christlicher Nächstenliebe und mit Unterstützung von kirchlichen (meist katholischen) Stiftungen und Spenden und füllten somit die Leerstelle staatlicher Fürsorge.

Kindliche Kleidung als Statussymbol

Neben dem Fallhut war bis weit ins 19. Jahrhundert der kindliche Rock üblich und galt als ein Zeichen von Kindheit. Der Rock verfolgte den praktischen Nutzen, dass aufgrund fehlender Unterwäsche die Ausscheidungen auf den Boden fielen, statt kostbare Wäsche zu verschmutzen bzw. das Wechseln der eventuellen Windeln einfacher von statten ging. Jungen trugen ebenfalls Röcke, wurden aber etwa ab dem vierten Lebensjahr in Hosen gekleidet und traten so nicht nur rein äußerlich auf eine neue Stufe in der Familienstruktur. Die Hosen waren im jungen Alter zunächst noch kurz – im Winter durch lange Baumwollstrümpfe gewärmt. Mit dem Alter wurden die Hosenbeine länger. Gleiches bei den Mädchen, deren Kleider mit jedem Lebensalter länger wurden und den Übergang zum Erwachsen-Werden äußerlich darstellten.

Im Gegensatz zum restlichen Deutschen Reich, welches insbesondere durch den gewonnenen Deutsch Französischen Krieg Reichtum erlangte und dies die Entstehung neuer Aktiengesellschaften, Banken und Großunternehmen – und damit auch viele Neureiche - begünstigte, war die wirtschaftliche Situation in der Rheinprovinz bereits länger bevorteilt. Bereits seit den 1820er Jahren gründeten sich hier Eisenbahnaktiengesellschaften, Feuerversicherungsgesellschaften sowie Banken, wobei die Kölner Banken eine Vorreiterrolle in ganz Preußen einnahmen. In dieser Zeit setzten sich paternalistische Strömungen fort, ebenso wie die in wohlhabenderen Kreisen bestehende Verachtung körperlicher Arbeit. Die Berufslosigkeit von Bürgertöchtern war gesellschaftlich akzeptiert und gefordert.

Rein äußerlich machte sich dies in den aufkommenden Matrosenanzügen für Jungen bemerkbar, die nicht nur als Zeichen der Kindheit galten, sondern ebenfalls die militaristische Werteordnung bzw. die hohe Stellung der Marine zur Zeit des Wilhelminismus widerspiegelten. Bürgerliche Mädchen trugen hingegen Hüte und weiße Spitzenkleider – meist tailliert oder sogar mit einem eng geschnürten Korsett versehen, was für die körperliche Entwicklung schädlich war. Hinzu kamen noch Unterwäscheschichten, Unterhemd, Beinkleid und Unterröcke, die nicht selten zwei Kilogramm Belastung bedeuteten und den kindlichen Körper zusätzlich belasteten. Weiße Kleidung war aber keineswegs der Standard – vielmehr waren es dunkle Kleider und schwarze Strümpfe. Das Weiß-waschen der Kleidung konnten sich nur bürgerliche Familien mit entsprechendem Einkommen leisten und trugen dies – über die Kinder – zur Schau. Entlastet wurden die Mädchen erst mit der Reformmode, die für Mädchen leichtere Modelle von geknöpften Leibchen und Korsetts vorsah.

(Robin Stecken, 06.05.2022)

Literatur

LVR-Industriemuseum: Die Macht der Mode. Zwischen Kaiserreich, Weltkrieg und Republik. Begleitband zur Sonderausstellung. 2015

Pierer's Universal-Lexikon, Band 9. Altenburg 1860, S. 488-489.

Ingeborg Weber-Kellermann: Die Geschichte der Kindheit und ihre soziokulturelle Bedeutung. In: Spielwelten, S. 23-42.

Wingolf Lehnemann: Öffentliche Kleinkindererziehung im 19. Jahrhundert: Der erste Kindergarten in Westfalen.

 


[1] Wingolf Lehnemann: Öffentliche Kleinkindererziehung im 19. Jahrhundert: Der erste Kindergarten in Westfalen.


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