„Besitzergreifung“ und strukturelle Entwicklungen nach 1815

Die Volksschulen

Nach Ansicht Oberstleutnants Eugène de Stoffel, 1866-1870 französischer Militärattaché in Berlin, war die preußische Armee der französischen in vieler Hinsicht überlegen. In ungeschminkten Berichten nach Paris begründete er seinen militärischen Befund auch mit vorzüglichen staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen Preußens, darunter besonders das Schulwesen: „ …, auch ist das preußische Volk das aufgeklärteste in ganz Europa in dem Sinn, dass der Schulunterricht in allen Klassen verbreitet ist. … Die Volksschulen sind da in Überfluss vorhanden, …“ 

Im Königreich Preußen war um die Mitte des 19. Jahrhunderts der bereits im General-Landschulreglement von 1763 geforderte allgemeine Schulbesuch in eine Schulpflicht (1825) übergegangen und weitgehend umgesetzt. 1871 betrug die Analphabeten-Quote in 28 preußischen Regierungsbezirken zwischen 3% und 17% und lag nur in den sieben östlichsten deutlich höher. Zwischen 1880 und 1900 war eine praktisch durchgängige Alphabetisierung erreicht. Um 1860 gab es in der Rheinprovinz fast 4.000 öffentliche, koedukative Elementarschulen (2856 katholische, 1009 evangelische, 30 jüdische) und 275 konzessionierte Privatschulen. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis pro Klasse (normalerweise mit mehreren oder sogar auch mit allen Jahrgangsstufen) war durchweg noch sehr hoch und betrug nicht selten mehr als 1:100.

Der Begriff „Volksschule“ meinte seinerzeit speziell noch die Schule für die unteren Schichten der Gesellschaft. Adel und höheres Bürgertum schickten ihre Kinder in private Elementarschulen. Entsprechend der ständischen Segregation waren die Lernziele für Kinder in Volksschulen auf Grundfertigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen beschränkt. Daneben standen als wesentliche Inhalte Religion, Erziehung zu Akzeptanz vorgegebener Gesellschafts- und Rollenbilder sowie besonders auch Treue zur preußischen Monarchie. Dieses Ziel überlappte sich nach 1871 zunehmend mit einer Erziehung zu nationalpatriotischer Begeisterung für Kaiser und Reich. Gegen Ende des Jahrhunderts wurden die Curricula der Volksschulen differenzierter und die Lernziele auf ein höheres Niveau gesetzt. Natur- und Erdkunde sowie (vaterländische) Geschichte spielten eine größere Rolle, ebenso wie Textil- und Handarbeit für Mädchen. 

Der persönliche und organisierte Einfluss gerade von Volksschullehrern aus den westlichen Provinzen trug zu dieser Entwicklung bei ebenso wie zur Ausprägung des Berufsstandes. Professionalisierung der Ausbildung mit genormter Prüfung in staatlichen Lehrerseminaren, geregelte Besoldung waren in Preußen frühe Stationen auf diesem Weg. Mit der Verbeamtung und schließlich den Laufbahngesetzen 1906 und 1907 erreichten die Volksschullehrer endgültig soziale Absicherung und Anerkennung. 1906 wurde auch die Konfessionalität der öffentlichen Volksschulen gesetzlich festgeschrieben. 
Lehrerin an einer konfessionellen oder privaten höheren Töchter- und Volksschule war eines der ersten ausgeprägten Berufsbilder für Frauen im 19. Jahrhundert. Die ersten konfessionellen Seminare für Lehrerinnen im preußischen Westen entstanden 1832 in Münster (katholische) und 1844 in Kaiserswerth (evangelische). Gegen Ende des Jahrhunderts erging eine zunehmende Differenzierung der inzwischen staatlichen Lehrerinnenausbildung. Um 1900 existierten fünf staatliche Seminare zur Ausbildung von Volksschullehrerinnen, bis 1914 kamen 13 weitere hinzu. Auch die Lehrerinnen an Volksschulen wurden jedoch geringer besoldet als ihre männlichen Kollegen, verfügten über weitaus weniger Aufstiegschancen und erhielten die Kündigung, wenn sie heirateten. 

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