Der „Centralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen“

Die Fabrikarbeiter und ihre Familien, häufig vom Land in die Industriebezirke zugewandert, litten unter sozialer Entwurzelung und pendelten am Existenzminimum, obwohl auch Frauen und Kinder durch Fabrikarbeit zum Einkommen beitragen mussten. Mangelnde Hygiene in den oft katastrophalen Wohnverhältnissen, unzureichende medizinische Betreuung, Unterernährung und Alkoholismus führten zu weit verbreiteten körperlichen Schäden und Erkrankungen.

Theodor Hosemann, Armut im Vormärz, aus: Gregor Meilchen, Der Pauperismus. Massenarmut im Vormärz, in: Praxis Geschichte 19 (2006), Heft 3, S. 34 © Wikimedia Commons [Public domain]

Der Weberaufstand in Schlesien 1844 und seine schockierenden sozialen Hintergründe lösten ernsthafte Bestrebungen aus, die prekäre Lage der Industriearbeiterschaft zu verbessern. Die naheliegende organisatorische Struktur war die eines Vereins, der auf die soziale Verantwortung der Unternehmer ebenso setzte wie auf die Bereitschaft der Arbeiter zur Hilfe durch Selbsthilfe. Der am 26. Oktober 1844 in Berlin gegründete „Centralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen“ verfügte über eine breitere Basis als kurzlebige Vorgänger und fand zunächst auch den Zuspruch von Ministern und Spitzen der Verwaltung. Der Verein war neben spontaner Hilfeleistung bestrebt, die Missstände durch nachhaltige strukturelle Maßnahmen grundsätzlich zu beheben. Dazu zählten die Einrichtung von Kranken- und Unterstützungskassen ebenso wie Fortbildungs- und Informationsangebote.

Unter den prominenten Vereinsmitgliedern fanden sich zahlreiche rheinische Unternehmer und hohe Beamte der Provinzialverwaltung. Zwei Drittel der lokalen Gründungsinitiativen entstanden in den beiden westlichen Provinzen Preußens, erste lokale Organisationen bildeten sich in Elberfeld und Köln. König Friedrich Wilhelm IV. spendete spontan 15.000 Reichstaler aus eigener Tasche.

Die im Centralvereinengagierten Unternehmer, Honoratioren und Beamten suchten in den Vereinen auch Gemeinsinn und bürgerliche Initiativen zu entwickeln. Der liberale Zungenschlag störte die Hochkonservativen in Berlin. Darüber hinaus befürchtete man, dass die Vereinsbewegung von revolutionären Sozialisten unterwandert werden könnte. Die drosselnde Anwendung der preußischen Vereinsgesetzgebung ließ viele Initiativen erlöschen. Die endgültige Bewilligung der Statuten des bis 1914 bestehenden Centralvereins erfolgte dann auch erst nach Ausbruch der Revolution.

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Friedrich Harkort, Die Vereine zur Hebung der unteren Volksclassen, Titelblatt, 1845 © Machahn, Wikimedia Commons [Public domain]