Nationale Euphorie am Rhein im Juli 1870

Georg Mölich

Im Juli 1870 verdichteten sich die in Jahrzehnten angesammelten nationalpolitischen Forderungen und nationalideologischen Versatzstücke besonders im Rheinland in der Inkubationsphase dieses Krieges zu einer breite Bevölkerungsschichten erfassenden nationalen Euphorie. Im Kölner Hauptbahnhof, der ein zentraler Umschlagplatz für die vielen Tausenden von Soldaten war, die aus dem Norden mit der Eisenbahn nach den minutiösen Plänen des preußischen Generalstabes zu ihren Aufmarschgebieten an der französischen Grenze unterwegs waren, kam es zu ständigen nationalen Manifestationen. Ständig gesungen wurde das Lied „Die Wacht am Rhein“ – gedichtet während der „Rheinkrise“ 1840 von Max Schneckenburger und vertont 1854 von Karl Wilhelm mit den Textzeilen „Es braust ein Ruf wie Donnerhall / Wie Schwergeklirr und Wogenprall: Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein“. Während des ganzen Krieges gehörte dieses Lied zum ständigen Repertoire an Lagerfeuern oder bei sonstigen Versammlungen. Der Text hatte den großen Vorteil, dass ihn auch nichtpreußische Truppenteile mitsingen konnten – denn dass der Kriege geführt wurde, um die Herrschaft am Rhein für Deutschland zu sichern, war allgemein anerkannt.

"Auf für den deutschen Rhein!", Flugblatt nach einem Leitartikel der "Kölnischen Zeitung" vom 16. Juli 1870 von Heinrich Kruse

Aber nicht nur patriotische Lieder konnte man in Köln erleben – es gab zudem auch noch textliche Unterstützung zum Mitnehmen: Ein in sehr hoher Auflage als Flugblatt gedruckter Artikel unter dem motivierenden Titel „Auf für den deutschen Rhein!“ erlangte dadurch eine enorme Wirkung gerade auch auf die Soldaten. Der in Köln geschriebene und publizierte Leitartikel der „Kölnischen Zeitung“ vom 16. Juli 1870 verdeutlicht die zunehmende nationale Emotionalisierung im Vorfeld des preußisch-deutsch-französischen Krieges im Juli 1870. Autor des Textes war Chefredakteur Heinrich Kruse (1815-1902), ein zeitgenössisch durchaus renommierter Schriftsteller. Der Leitartikel erschien unter dem appellativen Titel „Auf für den deutschen Rhein!“ und gehört zu den facettenreichsten Texten dieser nationalen publizistischen „Welle“. Kruse, seit 1855 Chefredakteur der „Kölnischen Zeitung“, die im 19. Jahrhundert zu den wichtigsten Tageszeitungen in Deutschland gehörte, formulierte einen Text, der sehr stark mit literarisch-politischen Zitaten und Rückbeziehungen durchsetzt war und der die politische Auseinandersetzung um den Rhein intensiv rezipierte. Der ganze Text ist ein Musterbeispiel für eine politische Publizistik, die in durchaus auffordernder Form nationalpolitisch Stellung bezieht. Es wird überliefert, dass Bismarck nach der Lektüre des Leitartikels gesagt haben soll, Kruse sei „zum Küssen“ und seine Zeitung sei „so viel wert wie ein ganzes Armeekorps im Westen“. Jedenfalls steht der Text neben vielen anderen publizistischen Zeugnissen für die temporäre nationale Euphorie am Rhein in der Anfangsphase des Krieges gegen den französischen „Erbfeind“.

Auszug (aus dem Schlussteil):

[Heinrich Kruse] Auf für den deutschen Rhein! (Aus der Kölnischen Zeitung)

                                                                                   Köln, 16. Juli 1870.

 (...)

Aber so rasch die französischen Truppen auch voreilen mögen, die napoleonische Politik hat, noch ehe ein Franzose über die deutsche Grenze, schon eine große Niederlage erlitten. Napoleon III. rechnet auf die deutsche Uneinigkeit, auf die Unpopularität Preußens in Deutschland, von der ihm die übertriebensten Berichte zugekommen. (...) Denn wir wissen ja Alle, worum es sich handelt. Die Franzosen wollen „das Gleichgewicht der Macht herstellen“, das linke Rheinufer erobern, oder (...) die Preußen mit Kolbenstößen im Rücken über den Rhein jagen. Jetzt, teure Landsleute, gilt es, die tausendmal geschworenen Eide einzulösen.

Sie sollen ihn nicht haben, den freien, deutschen Rhein! (...) Auf alles, was Deutsch heißt, zum Rhein, zum Rhein, zum heiligen Rhein, wenn es sein könnte, mit Sturmesflügeln! Wir thun hier, was wir können. Reich und Arm, Alt und Jung strömt zu den Fahnen, die oberen Classen der Gymnasien müssen aufgelöst werden, weil selbst die Knaben, vom Zorn entbrannt, die Ehre ihres Königs und des deutschen Namens einlösen wollen.

O, Ernst Moritz Arndt, hätten Deine Augen das gesehen, Du würdest wissen, dass Du nicht umsonst gelebt hast! Es ist ein Kreuzzug, es ist ein heiliger Krieg! können wir auch jetzt rufen. Wenn je ein Krieg ruchlos mit allen Listen und Lügen heraufbeschworen worden, so ist es dieser. Der Neffe Napoleons will seinen wankenden Thron mit Blut kitten. (...) Ja, teure Landsleute, erhebt Eure Hände und Herzen und lasset uns Alle den Rütli-Schwur tun für das teure deutsche Vaterland:

Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern,

In keiner Not uns trennen und Gefahr!

 

Einzelthemen

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> Rheinisches Dankeschön für Wilhelm I. 1871

 

 

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Germania. Schmuck- und Ruhmesblatt auf den Krieg gegen Frankreich 1870/71, Johann Baptist Sonderland und August Weber, Mainz 1871, kolorierte Lithographie nach Caspar Scheuren, Preußen-Museum NRW Wesel.