„Rheinprovinz“ und Rheinlandbewußtsein im 19. Jahrhundert – eine Skizze

Die vor 200 Jahren vollzogene administrative Zusammenfassung im Rahmen der preußischen „Rheinprovinz“ wurde im Laufe der folgenden Jahrzehnte zum Bezugspunkt bzw. Katalysator der Entstehung eines auch über die regionalen Eliten hinausgehenden Rheinland-Bewusstseins. Dazu gehörte natürlich auch, dass sich in der Provinz bestimmte organisatorische und regionalpolitische Veränderungen vollzogen, die nach und nach Bindekräfte entwickelten oder aber in der Opposition dazu eben auch zur Herausbildung regionaler Abgrenzung beitrugen. Eine wichtige Rolle spielte dabei in kultureller Hinsicht eine gemeinsame, von politischen Umbrüchen geprägte Erinnerungskultur, die in Denkmalinitiativen zum Vorschein kam und durch mehr und mehr Geschichts- und Kunstvereine geprägt wurde. Politisch trug vor allem der Provinziallandtag seit den bewegten 1840er Jahren zu regionalen Identitätskonstruktionen bei. Die reale Bedeutung der Provinz erhöhte sich dann im Kaiserreich erheblich durch die Einführung der Provinzialordnung 1887, wodurch der Landtag, der aus Wahlen der Kreistage hervorging, zusammen mit der mittlerweile etablierten Provinzialverwaltung die Stellung eines Kommunalverbandes mit weitgehender Selbstverwaltung erhielten. Ausdruck dieses neuen regionalen Selbstbewusstseins war nach außen das opulente Gebäude des „Ständehauses“ in Düsseldorf. Auf der Ebene der Geschichtskultur trat seit 1881 die „Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde“ als neuer Akteur hinzu, die sich explizit auf die gesamte Rheinprovinz als Geschichtsraum bezog und durch Quelleneditionen hervortrat. Sie wurde maßgeblich vom rheinischen Wirtschaftsbürgertum und vom Adel getragen. (Pabst 2022)

Neben dieser eben auf die „Rheinprovinz“ bezogenen administrativen und politischen Entwicklungen vollzog sich nach der Reichsgründung von 1871 noch eine weitere Etablierung eines Rheinlandbewusstseins. Es ging dabei um eine vor allem auf der symbolischen Ebene angesiedelte Aufwertung des Rheinlandes als politisch-kulturellem Zentralraum für das Deutsche Reich. Durch verschiedene Elemente wie Denkmäler, Lieder, Sagen und „Erinnerungsorte“ wurde der Rheinraum immer stärker national „aufgeladen“. Bezugspunkt war dann nicht mehr nur die administrative Einheit, sondern eher ein ideales Rheinland, das man durchaus als Bewusstseinsregion verstehen konnte.

Diese Aufwertung der Rheinlande gefiel nicht allen preußischen Politikern, da es gegenüber dem preußischen Gesamtstaat zu partikular erschien. 1883 bei der Einweihung des Niederwald-Denkmals am Rhein bei Rüdesheim schrieb Reichskanzler Otto von Bismarck an den Oberpräsidenten der Rheinlande als Begründung für seine Nichtteilnahme an den Feierlichkeiten: „Das Denkmal der Rheinprovinz sollen die Rheinprovinzler begrüßen.“ (Schreiben Bismarcks vom 12.3.1883 zit. n. Klein 2005, S. 204)  

(Georg Mölich, 27.06.2022)

Literatur

Pabst, Klaus: Die Gesellschaft für Rheinische Geschichtskultur (1881-1981). Trägerschaft, Organisation und Ziele in der ersten 100 Jahren ihres Bestehens, Reaktion: Stephan Laux, Wien/Köln 2022.

Klein, Michael B.: Zwischen Reich und Region. Identitätsstrukturen im Deutschen Kaiserreich (1871-1918), Stuttgart 2005, S. 204

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