Die Neue Rheinische Zeitung während der Revolution 1848/49

Die „Neue Rheinische Zeitung in Köln“ während der Revolution 1848/49

Heute vor 175 Jahren – am 13. und am 14. August im Revolutionsjahr 1848 – fand in Köln der erste Rheinische Demokratenkongress statt. 17 Arbeiter- und Demokratenvereine aus verschiedensten Städten der preußischen Rheinprovinz trafen sich im kleineren Saal des Stollwerck’schen Cafés in der Kölner Schildergasse. Das Zusammenkommen der rheinischen Revolutionäre wurde zeitgenössisch breit verhandelt und rezipiert. So berichtete vor allem die „Neue Rheinische Zeitung“ in mehreren Ausgaben ausführlich über das Geschehen.

Eine Liste der teilnehmenden Vereine wurde publiziert, Redebeiträge dokumentiert und auch die Presse selbst thematisiert. In der Ausgabe Nr. 101 vom 13. September 1848 heißt es beispielsweise: „Für die Wirksamkeit nach Außen wurde zunächst die Presse empfohlen und darauf aufmerksam gemacht wie dringend nothwendig es sei demokratische Blätter nach Kräften zu unterstützen, die reaktionären aber überall zu verdrängen.“ Ihrem Selbstverständnis nach war die „Neue Rheinische Zeitung“ solch ein demokratisches Blatt, schmückte sie sich doch mit dem Untertitel „Organ der Demokratie“.

Die Jährung des Kongresses in Verbindung mit dem revolutionären, zeitgenössischen Pressewesen sei zum Anlass genommen, die „Neue Rheinische Zeitung“ als zentrale zeitgenössische Publikation der Revolution 1848/49 genauer zu betrachten.


Gründung und Programm

Die von Karl Marx und Friedrich Engels herausgegebene Tageszeitung erschien zum ersten Mal am 1. Juni 1848. Man kann sich dem Eindruck nicht entziehen, dass diese erste Ausgabe ganz im Geiste einer Revolution etwas Stürmisches und Drängendes hat. So lesen sich die ersten einleitenden Worte des Probeblatts wie folgt: „Das Erscheinen der Neuen Rheinischen Zeitung war ursprünglich auf den ersten Juli festgesetzt. […] Da jedoch bei dem erneuten frechen Auftreten der Reaktion deutsche Septembergesetze in naher Aussicht stehen, so haben wir jeden freien Tag benutzen wollen, und erscheinen schon mit dem ersten Juni.“ (NRhZ, Nr. 1, 01.06.1848) Der Verweis auf die französischen Septembergesetzte zeigt: Marx und Engels sorgten sich, dass das erst Monate vorher geöffnete Fenster der Pressefreiheit in der preußischen Rheinprovinz sich alsbald wieder schließen könne. Ihre Sorge basierte auf den Erfahrungen, die die beiden Männer mit dem Vorläufer, der „Rheinischen Zeitung“, bereits gemacht hatten. Diese „Rheinische Zeitung“ hatte zu Beginn der 1840er Jahre für öffentliches Aufsehen gesorgt und wurde 1843 in Preußen verboten (Seyppel 1991, S. 33).

Die klar politische Ausrichtung der „Neuen Rheinischen Zeitungen“ war also in der DNA des Vorläufers bereits verankert. Während die demokratischen und kommunistischen Ideen hier noch im Abstrakten blieben, konnten sie sich später an dem rasanten politischen Geschehen von 1848 schärfen. Über das Tagesgeschehen nicht nur zu berichten, sondern dieses auch einzuordnen und zu kommentieren war das Grundprinzip und konkrete Vorhaben der Zeitung – darin unterschied sie sich nicht Wesentlich von den zahlreichen anderen periodischen Neugründungen in Vorfeld der Revolution. In einem Aufruf zu Gunsten der „Rheinischen Allgemeinen Zeitung“ – wiederum der geistige Vorläufer der „Rheinischen Zeitung“ – aus dem Januar 1840 heißt es: „Die Neuheit des Planes besteht darin, Tatsachen und kritische Kommentare zu denselben nebeneinander laufen zu lassen, d. h. wir werden in einem besonderen Artikel […] jedesmal das wichtigste Tagesereignis auf seine historische Wurzel zurückführen […] und […] beurteilen“. (Hansen I, S. 179) In dieser Tradition wurde schließlich die „Neue Rheinische Zeitung“ zu einem elementaren Sprachrohr der politischen Linken in der Revolution 1848/49. Konkret versprach man sich „[…] auf dem äußerst linken Flügel der demokratischen Bewegung in die nationale Tagespolitik einzugreifen“ (Melis 2000, S. 9).

Schon bevor Karl Marx und Friedrich Engels im April 1848 nach Köln kamen, planten sie eine Neuaufsetzung der „Rheinischen Zeitung“. Beide waren in Köln bestens vernetzt und einige ihrer Vertrauten wie zum Beispiel Andreas Gottschalk und Karl D‘Ester waren bereits damit beschäftigt, die nötigen Gelder zu beschaffen. Engels selbst reiste nur Tage nach seiner Ankunft in Köln durch das Rheinland und suchte nach Unterstützern und Finanzierungsmöglichkeiten. Die Zeitung wurde letztendlich über ein Aktienmodell finanziert und war dennoch über die ganze Erscheinungsdauer hinweg mit Geldmangel konfrontiert. Das Betriebskapital war von Anfang an zu niedrig, sodass viele Aktionäre ihre Anteile schnell wieder kündigten. Aus diesem Grund stecke Karl Marx einen Großteil seines väterlichen Erbes – des bekannten Trierer Richters Heinrich Marx – in die Aufrechterhaltung der Zeitung. So schlecht die finanzielle Lage war, so gut war der Anklang unter der Bevölkerung. Stetig konnte die Auflage erhöht werden, sodass die Zeitung vor ihrer letzten Ausgabe eine Leserschaft von 6.000 Menschen vorweisen konnte (Obermann 1998, S. 46).

Inhalt und Rezeption

Das Profil der „Neuen Rheinischen Zeitung“ war breit gefächert. Neben der ausführlichen und stets kommentierten Berichterstattung aus den deutschsprachigen Gebieten verfügte die Zeitung auch über einen Auslandsteil, der vor allem das revolutionäre oder post-revolutionäre Treiben der europäischen Nachbarn verfolgte. Möglich war dies durch ein Netz an international verteilten Korrespondenten, zu denen Karl Marx und Friedrich Engels engen Kontakt pflegten. Im Feuilleton befanden sich – wie im Allgemeinen üblich – Gedichte und Fortsetzungsromane. Hierfür war im Speziellen zunächst der 1822 in Detmold geborene Georg Weerth zuständig. Der Kaufmann Weerth war laut Engels der „erste bedeutende Dichter des deutschen Proletariats“ (Roessler 1998, S. 229). Seine sozialkritische Prosa brachte ihm später eine Haftstrafe ein. Im Oktober 1848 erweiterte der bekannte Revolutionsdichter Ferdinand Freiligrath auf Einladung Marx‘ die Redaktion. Auch er schrieb für das Feuilleton und beteiligte sich mit lyrischen Interpretationen des Tagesgeschehens (Roessler 1998, S. 228f.).

Aus heutiger Sicht ist es umstritten, inwieweit es sich bei der „Neuen Rheinischen Zeitung“ um ein kommunistisches, in der Bewegung fest verankertes Organ handelte. Friedrich Engels betonte 1885, dass seine Zeitung immer aus der Perspektive und den politischen Bedürfnissen des Proletariats geschrieben wurde (Herres 2019, S. 273). Die Sowjet-Forschung folgte zunächst dieser (Selbst-)Bewertung, wohingegen die heutige Forschung die Zeitung differenzierter betrachtet. Für Köln argumentiert Jürgen Herres, dass die bestehenden kommunistischen Strukturen – wie der Arbeiterverein – nicht durch die Zeitung repräsentiert wurden. Die Arbeiterschaft habe sie in Teilen abgelehnt, einerseits wegen der als zu kompliziert empfundenen Sprache und andererseits wegen der Zusammenarbeit der Redaktion mit konstitutionellen Demokraten und Liberalen (Herres 2019, S. 273f.). Dies ist vereinzelt unbestritten der Fall gewesen; ein Redakteur der Zeitung des Kölner Arbeitervereins hält allerdings dagegen und behauptet: „Ihre [Neue Rheinische Zeitung] Worte die sie den Arbeitern wohlmeinend zurufen, sind nicht in den Wind gesprochen, sondern von dem gesunden Sinne derselben verstanden, beherzigt und befolgt worden.“(Zeitung des Arbeitervereins zu Köln, Nr. 9, 18.06.1948.) Auch eine Abgrenzung zur bürgerlichen Revolution lässt sich in der Neuen Rheinischen Zeitung finden. In der Ausgabe vom 9. Mai 1848 steht unmissverständlich formuliert: „Die Geschichte des preußischen Bürgerthums [...] beweist, daß in Deutschland eine rein bürgerliche Revolution und die Gründung der Bourgeoisherrschaft unter der Form der konstitutionellen Monarchie unmöglich, daß nur die feudal-absolutistische Contrerevolution möglich ist oder die social-republikanische Revolution“ ( NRhZ, Nr. 301, 19.05.1849). Letztendlich stellt es sich als schwer heraus die genaue Rolle der Zeitung im durchaus heterogenen Feld der revolutionären Gruppierungen einzuordnen. Ein zeitgenössisch kommunistisches Selbstverständnis, ist in einzelnen Artikeln aber durchaus sichtbar.

Die Redaktion der „Neuen Rheinischen Zeitung“ war stets unter Druck und Beobachtung der preußischen Behörden. Als Ende September 1848 der Belagerungszustand über Köln ausgerufen wurde, musste die Zeitung zunächst eingestellt werden. Ab Oktober liefen die Druckerpressen bereits wieder. Mit dem finalen Niederschlagen der letzten revolutionären Aufstände im Jahr 1849 ging die preußische Regierung aber schließlich gegen die Redaktion der „Neuen Rheinischen Zeitung“ vor. Einige wurden aus Preußen ausgewiesen, da sie keine Staatsbürgerschaft besaßen, andere wurden gerichtlich belangt. Marx und Engels gingen ins Exil nach England. Am 19. Mai 1849 erschien deshalb die letzte Ausgabe der „Neuen Rheinischen Zeitung“. Sie wurde gänzlich in roter Farbe gedruckt. Ein Gedicht des Schriftstellers und Revolutionären Ferdinand Freiligrath eröffnete die Ausgabe. Die vom Pathos erfüllten Zeilen verarbeiten das Scheitern der Revolution und rufen zum Durchhalten auf: „Nun Ade, doch nicht für immer Ade! Denn sie tödten den Geist nicht, ihr Brüder! Bald richt' ich mich rasselnd in die Höh', Bald kehr' ich reisiger wieder!“

 

Die „Neue Rheinische Zeitung“ ist mit ihren über 300 Ausgaben eine zentrale Quelle sowohl für die Erforschung von Karl Marx‘ Werk und Denken, als auch für die westeuropäische Revolutions- und Demokratiegeschichte. Die meinungsstarken politischen Kolumnen beeinflussten die Wahrnehmung des zeitgenössischen Revolutions- und Demokratiediskurses und verbreiteten radikale politische Forderung samt den dahinterstehenden Theorien weit über Köln und das Rheinland hinaus (Obermann 1998, S.47). Die zahlreichen von Karl Marx und Friedrich Engels verfassten Artikel und Kommentare aus den Jahren 1848/49 sind in zwei Bänden in der von Jürgen Herres und Francois Melis herausgegeben „Marx/Engels Gesamtausgabe“ ediert. Zusätzlich sind sämtliche Ausgaben der „Neuen Rheinischen Zeitung“ vollständig auf der Homepage des Deutschen Textarchivs als Transkript und als Digitalisat des Originals einsehbar und durchsuchbar unter : https://www.deutschestextarchiv.de/nrhz/

(Maximilian Lange, 27.6.2023)

Quellen

Hansen, Joseph: Rheinische Briefe und Akten zur Geschichte der politischen Bewegung 1830–1850, Bd. 1 , 1919, ND Osnabrück 1967.

Marx/Engels Gesamtausgabe (MEGA), Band 7, Werke, Artikel, Entwürfe bis Oktober 1848 (Hg. Jürgen Herres, Francois Melis), Berlin und Boston 2016.

Marx/Engels Gesamtausgabe (MEGA), Band 8, Werke, Artikel, Entwürfe Oktober 1848 bis Februar 1849 (Hg. Jürgen Herres, Francois Melis), Berlin und Boston 2021.

Marx/Engels Werke, Band 21 (5. Auflage), (Ost-)Berlin 1975.

Melis, François (Hg.): Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Edition unbenannter Nummern, Flugblätter, Druckvarianten und Seperatdrucke, München 2000.

Neue Rheinische Zeitung, Nr. 1 – Nr. 301, in: Deutsches Textarchiv https://www.deutschestextarchiv.de/nrhz/ (abgerufen am 21.06.2023).

Literatur

Hallerbach, Jörg: Überall nur der inquisitorische Geist vergangener Zeiten? Köln – vor dem März, in: Bilz, Fritz/Schmidt, Klaus (Hg.): Das war ´ne heiße Märzenzeit. Revolution im Rheinland 1848/49, Köln 1998, S. 10-21.

Herres, Jürgen: Die „Neue Rheinische Zeitung, Organ der Demokratie“ 1848/49, Neue Zugänge und Arbeitsmöglichkeiten, in: Geschichte in Köln 66 (2019), S. 269-278.

Jürgen Herres und François Melis [Bearb.]: Karl Marx / Friedrich Engels Gesamtausgabe (MEGA). Abt. 1: Werke, Artikel, Entwürfe. Bd. 7: Karl Marx / Friedrich Engels, Werke, Artikel, Entwürfe. Februar 1848 bis Oktober 1848. Berlin 2016.

Obermann, Karl: Karl Marx und die „Neue Rheinische Zeitung“, in: Bilz, Fritz/Schmidt, Klaus (Hg.): Das war ´ne heiße Märzenzeit. Revolution im Rheinland 1848/49, Köln 1998, S. 43-48.

Roessler, Kurt: Ferdinand Freiligrath und die rheinischen Lyriker der Revolution von 1848, in: Dascher, Ottfried/Kleinertz, Everhard (Hg.), Petitionen und Barrikaden. Rheinische Revolution 1848/49, Münster 1998, S. 228-230.

Seyppel, Marcel: Die Demokratische Gesellschaft in Köln 1848/49. Städtische Gesellschaft und Parteientstehung während der bürgerlichen Revolution (Kölner Schriften zu Geschichte und Kultur 15), Köln 1991.

 

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