verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden

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Zweisprachiges Formblatt (Stadtarchiv Koblenz 623,2 Zivilstandsregister für das Jahr 1807).

Am 1. Mai 1798 wurde in den linksrheinischen Eroberungen der französischen Revolutionstruppen – noch vor ihrer völkerrechtlichen Gleichstellung mit den französischen Kerngebieten – die Zivilehe mitsamt der Scheidung eingeführt. In der Rückschau war dies „eine unbemerkte Revolution“ – nicht nur, weil es tatsächlich ein revolutionäres Gesetz war, das der Pariser Nationalkonvent 1792 verabschiedet hatte, sondern auch, weil es einen lebensweltlichen Einschnitt für die gesamte Bevölkerung und einen radikalen Bruch mit den kirchlichen Ordnungsvorstellungen darstellte. Dabei wurde die bis dato von den Pfarreien geleistete Erfassung der Geburten, Sterbefälle und Heiraten den lokalen Verwaltungsbehörden übertragen. Das Gesetz „sur la mode de constater l'état civil des citoyens“ vom 20. September 1792 war der Idee einer gleichen Staatsbürgergesellschaft entsprungen und machte die kirchliche Einsegnung einer Ehe von der Trauung durch den Maire (Bürgermeister), d.h. der vorherigen zivilrechtlichen Beurkundung des Ehebündnisses, abhängig. Es war somit Teil der Säkularisation und hatte erhebliche Vorteile für die Verwaltung, indem die systematische Bevölkerungserfassung ermöglicht und der staatliche Zugriff auf die Lebenswelt des Einzelnen erleichtert wurde. Insofern trug die zivilrechtliche Definition des Personenstandes zur schleichenden Veränderung der Familienvorstellungen und zur Ausbildung des modernen Verwaltungsstaats bei.

Doch wie sah das in der Praxis aus? Ein Blick in die ersten Zivilstandsregister der Städte Aachen, Koblenz und Trier verrät, dass die neuartige Dokumentationspflicht zunächst flexibel gehandhabt wurde. Die Einträge wechseln von deutschen und französischen Fließtexten über standardisierte, zweisprachige Formblätter zurück zur geschriebenen französischen bzw. deutschen Amtssprache hin zu stadtspezifischen Vordrucken. In der Regel übernahm einer der Adjoints (Beigeordneten) die zeitraubende Aufgabe in Vertretung des Maires und die Unterschrift derjenigen Anzeigenden, die nicht schreiben konnten. Dies trat um 1800 insbesondere bei Eheschließungen auf, die von vier anwesenden Personen bezeugt werden mussten. Diese „voisins“, „frères“, „sœurs“, „alliés“, „amis“ (Nachbarn, Brüder, Schwestern, Anverwandte, Freunde) und andere „temoins“ (Zeugen) wurden vom Brautpaar ausgewählt und umfassten den gesamten Familien- und Freundeskreis. 

Erst mit der Einführung des napoleonischen Zivilgesetzbuchs wurde dieser Personenkreis im Jahr 1804 auf männliche Bürger begrenzt, sodass Frauen fortan ausgeschlossen waren. Gemäß den Paragrafen 36 und 37 des Code civil sollte das Brautpaar „avec quatre témoins“ (mit vier Zeugen) erscheinen, die „ne pourront être que du sexe masculine, âgés de vingt-un ans au moins, parents ou autres; et ils seront choisis par les personnes intéressés.“ (offiziell übersetzt wie folgt: „Die in den Akten des Civilstandes angeführte Zeugen können nur vom männlichen Geschlechte sein; sie müssen wenigstens ein und zwanzig Jahre alt, Verwandte oder andere Personen sein, und werden von den Betheiligten gewählt.“) Ein Heiratseintrag im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen zeigt allerdings, dass sich Vertreter bzw. Vertreterinnen des höheren Beamtentums und rechtsrheinischen Adels dieser Bestimmung widersetzten, zumal sie im Großherzogtum Berg ohnehin eine zum Teil abweichende, gleichwohl französische Gesetzgebung gewohnt waren.

Während die Alliierten in Wien eine europäische Friedensordnung aushandelten und die preußische Herrschaftsübernahme in den vormals französischen Gebieten an Rhein und Mosel besiegelten, schlossen der „Kaufmann Johann Wilhelm Gerhard Camphausen“ und das „Fräulein Elise Bernardine Johanna von Ammon“, Tochter des „königlich preußischen Kriegs und Domainen-Raths Johann Georg Heinrich von Ammon“, am 23. September 1815 im Düsseldorfer Rathaus den Bund der Ehe. Als Zeugen waren der „Bruder des Bräutigams“, der „Director des Lyceums“, die „Schwägerin des Bräutigams“ sowie die „Schwester der Braut“ anwesend. Der deutsche Vordruck der Urkunde wurde dem weiblichen Geschlecht entsprechend pragmatisch angepasst und die Ehe durch Oberbürgermeister Engelbert Schramm für rechtkräftig erklärt. Interessant ist, dass es sich bei diesem um einen Juristen handelte, der erst seit kurzer Zeit im Amt war und die  Gesetzeslage genau kannte.

Von solchen Einzelfällen einmal abgesehen, scheinen sich die Menschen im Rheinland im 19. Jahrhundert an die Vorgaben gehalten zu haben, stimmten sie doch mit anderen politischen Partizipationsrechten wie der Ernennung von Geschworenen oder der Wahl zu Gemeinderäten überein. Für die Anfangsphase der preußischen Herrschaft sind nur wenige Fälle bekannt, in denen sich Paare im Rechtsrheinischen kirchlich vermählten ohne dies im Linksrheinischen zu melden. Auch staatliche Änderungsversuche wie die Maßnahme des preußischen Organisationskommissars Justus Gruner, die kirchliche Eheschließung 1814 wieder als vollgültigen Rechtsakt anzuerkennen oder der Vorschlag des preußischen Innenministers Friedrich von Schuckmann die zivilrechtlich Getrauten zur kirchlichen Heirat zu verpflichten, liefen pragmatischen Überlegungen zuwider und scheiterten an der Beibehaltung des französischen Rechts.

Erst 1875 wurden die Zivilstandsregister in ganz Preußen vereinheitlicht und Trauzeuginnen wieder zu Eheschließungen zugelassen. Der Grund dafür war die Einführung des Personenstandswesens für das gesamte preußische Königreich, d.h. die Übernahme und Anpassung der französischen Zivilstandsgesetzgebung. Das „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung“ trat am 9. März 1874 in Kraft und wurde ein Jahr später in die Reichgesetzgebung eingebunden. Wesentliche Änderungen betrafen die Bestellung von Standesbeamten und die Bildung von Standesamtsbezirken entsprechend der angestiegenen Bevölkerungszahlen. In Sachen Zivilehe gehörte die Religion fortan zu den beachtenswerten Angaben und sogenannte Mischehen zwischen katholischen und evangelischen Personen somit zu den verwaltungsinternen Dokumentationspflichten im Rahmen des Kulturkampfes. Analog zur kirchlichen Hochzeitszeremonie wurde die Anzahl der Trauzeugen von vier auf zwei vermindert.  „Als Zeugen“ sollten nach Paragraf 53 „nur Großjährige zugezogen werden. Verwandtschaft und Schwägerschaft zwischen den Betheiligten und den Zeugen, oder zwischen den Zeugen unter einander [stand] deren Zuziehung nicht entgegen.“

Seitdem konnten Schwestern, Cousinen, Freundinnen und andere weibliche Personen das Brautpaar wieder zum Standesamt begleiten und daran sollte sich in den darauffolgenden Jahren auch nichts mehr ändern. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden Frauen formal für das Amt des Standesbeamten zugelassen und die Dokumentationspflicht der Religion vorübergehend aufgehoben. In der NS-Zeit löste das Personenstandsgesetz vom 3. November 1937 diese Neuerung wie überhaupt das Reichsgesetz vom 6. Februar 1875 ab. Dabei wurde trotz einer massiven Einschränkung der familiären Selbstbestimmungsrechte und der dreiseitigen Erweiterung der Personenstandsregistereinträge für die Heiraten gemäß rassenideologischer Abstammungsvorstellungen der eigentliche Akt der „Trauung […] in Gegenwart von zwei Zeugen“ formal nicht verändert. Nach der Abschaffung des nationalsozialistischen Personenstandsgesetzes 1956/57 und weiterer wichtiger Gesetzesreformen 1976 und 2009 hob der Bundestag die obligatorische Anwesenheit der Zeugen bei standesamtlichen Hochzeiten zum 1. Juli 1998 auf. Seit 2017 können diese Hochzeiten auch von „Personen gleichen Geschlechts“ gefeiert werden.

(Katharina Thielen, 10.3.2022)

Quellen und Literatur:

Bär, Max: Die Behördenverfassung der Rheinprovinz seit 1815. Düsseldorf 1965, ND 1919.

Boudon, Jacques-Olivier: Le Sexe sous l'Empire 1799–1815. Paris 2019.

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland (LA NRW R), Regierung Düsseldorf, Heiraten 1815.

Schäfer, Udo: Die Novellierung des Personenstandsgesetzes. In: Bettina Joergens, Christian Reinicke (Hrsg.): Archive, Familienforschung und Geschichtswissenschaft. Annäherungen und Aufgaben Düsseldorf 2006, S. 122–135 (Veröffentlichungen des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen).

Stadtarchiv Koblenz 623,2.

Stein, Wolfgang Hans: Französisches Scheidungsrecht im katholischen Rheinland 1798-1803 . Eine unbekannte Revolution, in: Spiess, Pirmin (Hg.): Palatina Historica. Festschrift für Ludwig Anton Doll. Mainz 1994 , 463–488.

Gesetze:

Code napoléon, Ausgabe Paris 1807 (Aufruf am 20.3.2022).

Gesetz gegen Mißbräuche bei der Eheschließungen und der Annahme an Kindes statt, in: Reichsgesetzblatt 25.11.1933 (Aufruf am 20.3.2022).

Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung vom 9. März 1874 (Aufruf am 20.3.2022).

Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 06. Februar 1875 (Aufruf am 20.3.2022).

Das Gesetz über den Personenstand vom 11. Juni 1920, in: Reichsgesetzblatt Nr. 135 Jg. 1920 (Aufruf am 20.3.2022).

Personenstandsgesetz vom 03.11.1937, in: Reichsgesetzblatt (8.7.1938) (Aufruf am 20.3.2022).

Lassaulx, Franz von: Kodex Napoleon mit einem Anhang und einem vollständigen Sachregister, 2., dem Gesetz vom 3. Sept. 1807 gemäße, und mit allen bis zur Verkündigung dieses Gesetzes erschienen, ins CivilRecht einschlägigen, Gesetzen und Verordnungen verm. Aufl 1807 (Aufruf am 20.3.2022).

Loi sur la mode de constater l'état civil des citoyens (Aufruf am 20.3.2022).

Mehr zu aktuellen Debatte auf bundestag.de  (Aufruf am 20.3.2022).

 

 


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Zweisprachiges Formblatt (Stadtarchiv Koblenz 623,2 Zivilstandsregister für das Jahr 1807).
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Eheschließung zwischen Johann Wilhelm Gerhard Camphausen und Elise Bernardine Johanna von Ammon (LA NRW R, Regierung Düsseldorf, Heiraten 1815.)
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Trauzeugen bei der Eheschließung zwischen Johann Wilhelm Gerhard Camphausen und Elise Bernardine Johanna von Ammon (LA NRW R, Regierung Düsseldorf, Heiraten 1815.)
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Biedermeier-Brautkleid (LVR-Niederrheinmuseum Wesel).
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