Brot und Preise

 „Bei dem bevorstehenden Zusammentritte der Stände des Großherzogthums Niederrhein erwünschen die vereinigten Städte Saarbrücken und St. Johann daß auf die am Schluße bemerkten Modifikationen der durch die Gesetze vom 26ten May 1818 und 30ten May 1820 eingeführten Steuerverfassung Seitens ihres Depurtierten angetragen werde. Die Erfahrung der jüngst verflossenen sechs Jahre hat gelehrt daß die Abnehmer der hiesigen Handels- und Gewerbstätigkeit der einem Verbote gleich zu achtenden Beschränkungen des Verkehrs mit dem Auslande hiernächst aber der Höhe der jetzigen öffentlichen Abgaben im Vergleiche mit denjenigen an deren Stelle sie getreten und der Art ihrer Vertheilung und Erhebung beigemessen werden müssen. Was die Zoll- und Verbrauchssteuer betrifft so wirkt solche um so nachtheiliger auf die industriellen Verhältnisse der Einwohner als dieselben von der einen Seite in dem Verkehr mit dem benachbarten durch eine strenge Douanen-Verfassung gänzlich abgeschlossenen Frankreich keinen Ersatz findet; andererseits die geografische Lage dieser Städte dicht an der Grenze jenes Reichs so wie des bayrischen Rheinkreises, dem Schleichhandel mit ausländischen Waren seinen Spielraum läßt und die Aufsicht der Zollbehörde unwirksam macht. Außer dieses in der Oertlichkeit begründeten Begünstigung findet aber der Schleichhandel eine Hauptaufmunterung in dem enormen Gewinn welchen er auf diejenigen Warengattungen darbietet, die mit einer zu hohen Verbrauchssteuer belegt sind. […] Der Hauptzweck des Gesetzes die inländischen Industrien gegen das Ausland zu schützen geht demnach verloren und dem Staate wir überdies ein beträchtlicher Theils seines Einkommens entzogen. […] Mit dem benachbarten Frankreich während so langer Zeit vereinigt und die Lebensweise der Bewohner dieses Landes theilend ist der hiesige Einwohner an den Genuß des Weizen- statt des Roggenbrodes, wenigstens an dem eines aus der Mischung beider Getreidesorten bestehenden Brodes gewöhnt worden. […]
Eingabe der Bürgerschaft zu Saarbrücken an die rheinischen Provinzialstände (Archiv der Provinzialstände 0746 Abt. V 11 Nr. 114 Litt. b).

...und die rheinische Vorliebe für französisches „Weißbrot“

Mit dem Gesetz, wegen Anordnung der Provinzial-Stände für die Rheinprovinz wurde der Bevölkerung die Möglichkeit gegeben, Bitten und Beschwerden an die beratende Landesversammlung in Düsseldorf zu richten. Diese Petitionen wurden dort von den jeweiligen Repräsentanten im Plenum besprochen und unter der Voraussetzung eines positiven Gutachtens an den König weitgeleitet und unterstützt. Anlässlich des ersten rheinischen Provinziallandtags im Jahr 1826 nutzten zahlreiche Städte und Gemeinden das Petitionsrecht, um gegen die neuen Steuergesetze zu protestieren.

Zuvor war die Vereinheitlichung der Zollbestimmungen 1818, die Aufhebung der meisten noch bestehenden Verbrauchssteuern und die Einführung von Klassensteuern in ländlichen Gebieten sowie von Mahl- und Schlachtsteuern in größeren Städten auf wenig Zustimmung gestoßen. Besonders die Aufhebung der französischen Steuergleichheit und die Besteuerung von Brot hatte für großes Aufsehen gesorgt. Noch dazu wurden die Steuersätze den städtischen Marktpreisen angepasst und mit kommunalen Zuschlägen belastet, sodass der Preis für das Grundnahrungsmittel binnen kürzester Zeit anstieg und sich von Stadt zu Stadt unterschied. Die „Bürgerschaft von Saarbrücken“, forderte daher stellvertretend, „daß der Anteil der Mahlsteuer auf Weizen von 16 oder 20 auf 8 oder 10 gesenkt oder gleich ganz abgeschafft werden möge.“ Sie begründete diesen Wunsch mit den örtlichen Essgewohnheiten, die sich in der vorangegangenen, zwanzigjährigen Zugehörigkeit zu Frankreich, etabliert hatten: „Mit dem benachbarten Frankreich während so langer Zeit vereinigt und die Lebensweise der Bewohner dieses Landes theilend ist der hiesige Einwohner an den Genuß des Weizen- statt des Roggenbrodes, wenigstens an dem eines aus der Mischung beider Getreidesorten bestehenden Brodes gewöhnt worden.“

Die zuständige Regierungsbehörde in Trier teilte diese Meinung und ordnete die Einführung einer Brottaxe gegen die „Willkühr der Bäcker“ an. Die Festlegung des Brotpreises mit Hilfe einer Taxe stellte eine jahrhundertealte Möglichkeit der Preisbegrenzung dar, die das Brot gegen Marktschwankungen schützen und die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung sichern sollte. In Trier selbst war der Scheffel Roggen zu diesem Zeitpunkt beachtliche zehn Silbergroschen teurer als auf dem nahegelegenen Koblenzer Markt. Am Zusammenfluss von Rhein- und Mosel wurde der Preis für sechs Pfund Roggenbrot auf zwei Silbergroschen taxiert. Die Trierer zahlten drei Silbergroschen für vier Pfund Roggenbrot und konnten sich ein kleines Weizenbrot für einen Silbergroschen kaum leisten. Dennoch hielt Oberbürgermeister Wilhelm Haw eine Regulierung der Brotpreise für überflüssig, weil „das Weißbrod“ seiner Meinung nach „ein Luxusartikel“ war und der Preis für ein Roggenbrot nicht von den örtlichen Getreidepreisen abwich.

Demgegenüber berichtete Regierungspräsident August von Reiman aus Aachen, dass in seinem – ebenfalls grenznahen – Verwaltungsbezirk, „sogar der Bettler in einem Stücke Weisbrod mit einem schlechten Kaffee seine Nahrung zu finden gewöhnt“war. In der Fabrikstadt war ein drei-pfündiges Mischbrot für 3 Silbergroschen und 3 Pfennig zu haben. Das Roggenbrot wurde dank einer Brottaxe für die Hälfte des Trierer Preises angeboten: für 3 Silbergroschen und 8 Pfennig. In Düsseldorf galt dieselbe Richtlinie. Darüber hinaus bestimmte der  Stadtrat den Preis für ein Weizenbrötchen auf erschwingliche 4 Pfennige. Dies war nötig, um mit den Marktpreisen in Köln mithalten zu können und den zunehmenden Schmuggel von Mehlwaren auf dem Rhein einzudämmen. In der gegenüberliegenden Wirtschaftsmetropole wurden niedrigere Mahlsteuerzuschläge erhoben und sieben Pfund Roggenbrot für weniger als 3 Silbergroschen verkauft.

Generell kam die preußische Zentrale in Berlin den – wie Reiman meinte – „Vorlieben“ der Rheinländer ein Stück weit entgegen, indem sie den Stadträten bei der unterschiedlichen Gewichtung des Besteuerungszuschlags auf die Mahlwaren freie Hand ließen. Die Lebenshaltungskosten, die Infrastrukturbedingungen, das gemäßigte Klima und die Landschaft mit ihren „merkwürdigen“ Altertümern konnten sogar so manchen Regierungsbeamten aus den ostpreußischen Kerngebieten für seinen vorübergehenden Dienstort begeistern. Dennoch mögen solche Erfahrungen in der Alltagskultur dazu beigetragen haben, dass die anwesenden Beamten gerade zu Beginn der preußischen Herrschaftsphase einem Aachener Zeitzeugen zufolge „die Ansicht durchblicken [ließen], die Rheinländer seien nur halbe Preussen.“ Ganz im Sinne einer einheitlichen Steuergesetzgebung im Rahmen der Wirtschafts- und Integrationspolitik Preußens verliefen die Steuerpetitionen daher im Sande.

(Katharina Thielen, 11.2.2022)

Quellen und Literatur:

Archiv der Provinzialstände 0746 (Abt. V 11 Nr. 114 Litt. b)

Stadtarchiv Trier Tb12-39.

Stadtarchiv Aachen OB 115-1.

Stadt-Aachener Zeitung Nr. 215 vom 9.9.1820.

Düsseldorfer privilegiertes litterarisch-merkantilisches Intelligenz- und Adreß-Blatt Nr. 63 vom 14.7.1825.

Amtsblatt für den Regierungsbezirk Köln Nr. 12 vom 18.3.1828.

Herrres, Jürgen: Die Hohenzollern auf Reisen an Mosel, Rhein und Saar. Zur rheinpreußischen Beziehungsgeschichte im 19. Jahrhundert, in: Clemens, Gabriele B./Kell, Eva (Hg.): Preußen an der Saar. Eine konfliktreiche Beziehung 1815–1914. Saarbrücken 2018 (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte 50), S. 43–55.

Reumont, Alfred von: Jugenderinnerungen, hrsg. v. Hermann Hüffer, in: AHVN 77 (1904).


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