Religiöse Schmuckstücke

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Wudertätige Medaille (Foto: Maike Jung).

Ein vielbeachteter Aspekt in der Beziehungsgeschichte zwischen Preußen und dem Rheinland stellen die konfessionellen Differenzen dar, die das Verhältnis zwischen der katholischen Bevölkerungsmehrheit und dem protestantischen Herrscherhaus belasteten und zur Zeit des Kulturkampfes besonders ausgeprägt waren. Die vielschichtige Auseinandersetzung beeinflusste nicht nur die Politik, sondern auch die Alltagskultur der Menschen und spiegelte sich in konfessionsspezifischen Glaubenspraktiken wider.

Im Jahr 1837 führte auch die Frage der Kindererziehung bei gemischt-konfessionellen Eheschließungen beispielsweise zur Inhaftierung des Kölner Erzbischofs und zu Empörung weiter Teile der Bevölkerung. Kurze Zeit nach dem sogenannten Kölner Ereignis erlebte das von der katholischen Kirche geförderte Prozessions- und Wallfahrtswesen einen Höhepunkt in der Heilig-Rock-Wallfahrt, die 1844 bis zu 750.000 Menschen in die preußische Bezirksregierungsstadt Trier führte. Ein Jahrzehnt später sorgte der Papst mit dem Dogma der Unbefleckten Empfängnis Marias für einen weiteren Konfliktherd zwischen katholischer und protestantischer Glaubenslehre bzw. den Vertretern der katholischen Kirche und des preußischen Staates, indem die Marienverehrung fortan politisch aufgeladen und zur Machtdemonstration eingesetzt werden konnte. Noch heute ist dieses politische Protestpotential in einer überdimensionalen, 40 Meter hohen Mariensäule oberhalb von Trier weithin sichtbar.

Dabei ging es um ein theologisches Lehrverständnis, das von der Befreiung der Muttergottes von der Erbsünde ausging und seit der Gegenreformation Teil der spezifisch katholischen Frömmigkeitskultur war. Angeheizt und popularisiert wurde die Verehrung Marias als „Immaculata“ (die Unbefleckte) durch Nachrichten von wundersamen Marienerscheinungen, die an verschiedenen Orten Europas, beispielsweise im französischen Lourdes oder im saarländischen Marpingen, bekannt wurden und diese Orte zu neuen Wallfahrtstätten machten. In Paris berichtete die Ordensschwester vom heiligen Vinzenz von Paul Cathérine Labouré von einer Begegnung mit der Muttergottes am Abend des 27. Novembers 1830, bei der ihr die Prägung einer Medaille aufgetragen worden sei. Diese Medaille wurde zwei Jahre später mit Unterstützung des Pariser Erzbischofs Hyacinthe-Louis de Quélen nach den Vorstellungen Labourés geprägt und zeigt Maria stehend ohne Kind mit der umlaufenden Inschrift „O Maria, ohne Sünde empfangen, bitte für uns, die wir unsere Zuflucht zu dir nehmen“ („Ô Marie, conçue sans péché, priez pour nous qui avons recours à vous“).

Das Tragen des Amuletts wurde in den darauffolgenden Jahren mit weiteren unerklärlichen Geschehnissen oder einem Ablass, d.h. der Verminderung der Bußstrafen vor dem Jüngsten Gericht, verbunden, sodass der mit der Gestaltung beauftragte Goldschmied Adrien-Jean-Maximilien Vachette bereits in den ersten zehn Jahren zwei Millionen Exemplare in Gold und Silber und 18 Millionen aus Kupfer verkauft haben soll. Während der bereits erwähnten Heilig-Rock-Wallfahrt wurden allein in einem Metzer Handelshaus binnen drei Wochen mehr als hunderttausend Medaillen in Umlauf gebracht. Das Geschäft florierte und bezog die Angehörigen aller sozialen Schichten mit ein. Die Firma Ludovic Penin in Lyon bot die „Médaille Miraculeuse“ (Wundertätige Medaille) in den 1890er Jahren beispielsweise in unterschiedlichen Ausführungen an und deckte dabei ein enorm breite Preisspanne ab.  Dabei entsprach die günstigste Medaille aus Messing für 1 Franc in etwa dem Tageslohn eines einfachen Arbeiters. Eine 41 Millimeter große Medaille aus Gold kostete 200 Francs und galt als Statussymbol, das sich  nur wenige leisten konnten. Inschriften in verschiedenen Sprachen und individuelle Gravuren wurden als Sonderangebot für Kongregationen und Orden angepriesen, die ihrerseits zur Verbreitung der Medaille und der Immaculataverehrung beitrugen. Dabei erfüllte das Amulett im Gegensatz zu weitverbreiteten Andachtsbildern, Statuetten, Liedbüchern und anderen Devotionalien gleich mehrere Funktionen.

Die Wundertätige Medaille gehörte zum einen zur religiösen (Alltags-)Praxis und konnte mit individuellen Bedeutungsinhalten in Form von Wünschen, Gebeten und Hoffnungen belegt werden. Zum anderen bildete sie als gegenständliches Erkennungszeichen und „Bijoux religieux“ (religiöse Schmuckstücke) den sichtbaren Ausdruck eines kollektiven Selbstverständnisses, das ein spezifisch katholisches Zusammengehörigkeitsgefühl förderte und zeitweise zur versteckten politischen Meinungsäußerung eingesetzt wurde. Heute ist sie zudem ein hübsches Souvenir aus der französischen Touristenmetropole.

(Katharina Thielen, 20.6.2022)

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Schmid, Wolfgang, Die Wallfahrt zum Heiligen Rock zu Trier, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-wallfahrt-zum-heiligen-rock-zu-trier/DE-2086/lido/57d123e8e73186.89101272 (abgerufen am 23.06.2022).

Bernard, Birgit, Die Marienwallfahrt nach Eberhardsklausen bei Wittlich, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-marienwallfahrt-nach-eberhardsklausen-bei-wittlich/DE-2086/lido/6041f8ee7459e0.73761006 (abgerufen am 23.06.2022).

Hansen, Sebastian, Clemens August von Droste zu Vischering, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/clemens-august-von-droste-zu-vischering-/DE-2086/lido/57c698a86671f9.06491391 (abgerufen am 29.06.2022).

Quellen und Literatur:
Holtz, Bärbel u.a. (Hg.): Das preußische Kultusministerium als Staatsbehörde und gesellschaftliche Agentur (1817-1934), Acta Borussica, Bd. 2.1, Neue Folge, 2. Reihe: Preußen als Kulturstaat. Berlin 2010.

Jung, Maike: ‚Eine Epoche, in welcher […] Mariensäulen ohne Zahl aus der Erde em-porerwuchsen?' Marienverehrung, Frömmigkeit und Katholizismus im Bis-tum Trier zwischen Vormärz und Reichsgründung, in: Clemens, Gabriele B./Laux, Stephan (Hg.): Reformation, Religion und Konfession an der Saar (1517-2017). Saarbrücken 2020, S. 229-254.

Katalog der Firma Ludovic Penin. Graveur de Sa Seinteté Pie IX. Vve L. Penin & A. Poncet, Successeurs, Rue Bourbon, 20, Lyon. Dépot à Paris, Chez Daniel & Cie, Rue Bonaparte, 76; Dépot Bordeaux, Chez A. Beuscher, Rue des Argentiers, in: Diözesanarchiv Luxemburg BALux, GV.Pastoral 65.

Keinemann, Friedrich: Das Kölner Ereignis, sein Widerhall in der Rheinprovinz und in Westfalen, 2 Teile. Münster 1974 ND 2015 (Geschichtliche Arbeiten zur west-fälischen Landesforschung 14).

Körner, Hans: Die falschen Bilder. Marienerscheinungen im französischen 19. Jahrhundert und ihre Repräsentation. München 2018.
Kotulla, Andreas J.: "Nach Lourdes!" Der französische Marienwallfahrtsort und die Katholiken im Deutschen Kaiserreich (1871-1914). München 2006.

Marx, Jakob: Die Ausstellung des h. Rockes in der Domkirche zu Trier im Herbste des Jahres 1844, Trier 1845, S. 61f.
Persch, Martin/Schneider, Bernhard (Hg.): Geschichte des Bistums Trier, Bd. 4, Auf dem Weg in die Moderne 1802-1880. Trier 2000 (Veröffentlichungen des Bistumsarchivs Trier 38).

Schieder, Wolfgang: Religion und Revolution. Die Trierer Wallfahrt von 1844. Vierow bei Greifswald 1996.


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Bestellzettel aus dem Katalog Ludovic Penin in Lyon (Diözesanarchiv Luxemburg, GV.Pastoral-Seelsorge, GV.Pastoral 65).
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