BIOGRAPHIEN

Die Anfänge Brandenburg-Preußens am Rhein im 17. Jahrhundert

Hermann van den Bruck, Die sechs Herzöge aus dem Herrscherhaus Kleve-Mark, Kopie nach einem Original aus dem frühen 17. Jahrhundert © LVR-Niederrheinmuseum Wesel

Als der geisteskranke Johann Wilhelm, letzter Herzog von Jülich-Kleve-Berg, 1609 kinderlos starb, erhoben fünf Anwärter Erbansprüche auf das größte Herrschaftsgebiet im Nordwesten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Durch Einheirat der zwei ältesten Schwestern Johann Wilhelms waren die lutherischen Häuser Brandenburg und Pfalz-Neuburg jeweils in den Besitz einer Erbanwartschaft gelangt. Ohne den Schiedsspruch des Kaisers abzuwarten, nahmen beide die Erblande in Besitz und verständigten sich im Vertrag von Dortmund 1609 zunächst auf eine gemeinsame Verwaltung.

Der weitere Streit um das Gesamterbe blieb eng mit den großen Konflikten im Reich und in Europa verflochten. So war der Niederrhein stark durch den Unabhängigkeitskampf der aufständischen reformierten Niederlande gegen die spanische Krone in Mitleidenschaft gezogen. Die kriegführenden Mächte hielten Teile der Erblande besetzt. Die Erbanwärter vollzogen 1613 einen Glaubenswechsel: Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg wurde katholisch, Johann Sigismund von Brandenburg trat zum reformierten Bekenntnis über. 1614 kam es im Vertrag von Xanten zur Verständigung über eine Verwaltungsteilung bei formaler Beibehaltung einer gemeinsamen Herrschaft: Brandenburg erhielt das Herzogtum Kleve sowie die westfälischen Grafschaften Mark und Ravensberg, Pfalz-Neuburg die Herzogtümer Jülich und Berg. Die faktische Erbteilung wurde dann gut fünfzig Jahre später endgültig besiegelt. Da Brandenburg 1618 fast zeitgleich die Erbschaft des Herzogtums Preußen antrat, datiert mit den Erwerbungen im Westen und Osten der Beginn des – langsamen – Aufstiegs zum zweitmächtigsten Reichsstand und zur europäischen Großmacht.   

Zunächst konnten die Brandenburger ihre neue Herrschaft im Westen nur sehr eingeschränkt ausüben. Das Stammland litt ungeheuer unter dem Dreißigjährigen Krieg, der sich am Niederrhein mit dem spanisch-niederländischen Konflikt verwob. Erst mit der Regierung des Kurfürsten Friedrich Wilhelm entwickelte sich ab 1640 eine neue Phase der Konsolidierung – in enger Anlehnung an die Vereinigten Niederlande, die während ihres Unabhängigkeitskrieges zu einer Großmacht aufgestiegen waren. 

Der spätere „Große Kurfürst“ hatte als Kronprinz etliche Jahre in den Niederlanden gelebt und blieb ein Bewunderer dieses modernen Staatswesens. Seine Ehe mit Luise Henriette von Oranien bestärkte die Verbindung zur Schutzmacht. Das kurfürstliche Ehepaar residierte unmittelbar nach der Hochzeit fast drei Jahre in Kleve und hat sich auch später noch häufig hier aufgehalten. Brandenburg profitierte erheblich von einem breit gefächerten Zustrom wirtschaftlicher, kultureller und geistiger Impulse aus den Niederlanden. Dem Herzogtum Kleve kam bei diesem Transfer als Relais eine erhebliche Bedeutung zu. 

In Johann Moritz von Nassau-Siegen erhielten die Kontakte zwischen Berlin, Kleve und den Niederlanden eindrucksvoll persönliche Gestalt. Der niederländische General und Gouverneur von Wesel fungierte ab 1647 gleichzeitig auch als kurbrandenburgischer Statthalter im Herzogtum Kleve und der Grafschaft Mark. In seiner Amtszeit festigte sich die niederländisch-brandenburgische Allianz, erfolgte die Gründung der Universität Duisburg und Kleve wurde zu einer  barocken Residenz ausgebaut. 

Der Rheinhandel, die Gewerbedichte des brandenburgischen Niederrheins und der Grafschaft Mark sowie die Erträge einer durchkultivierten Landwirtschaft garantierten ein relativ hohes Steueraufkommen. Gegen den stetigen Widerstand der Landstände flossen Gelder aus Kleve-Mark zum größten Teil in den Aufbau eines stehenden Heeres und verhalfen dem Großen Kurfürsten auch dazu, 1660 endgültig die Souveränität im Herzogtum Preußen zu erlangen. Hier entmachtete er die Landstände ebenso wie in Kleve-Mark, errichtete neue zentrale Verwaltungsorgane wie das Kriegskommissariat und baute die landesherrliche Regierungsmacht weiter aus.

Durch den Angriff Frankreichs auf die Niederlande 1672 wurde auch das Herzogtum Kleve von französischen Truppen besetzt, und erst ab 1680 stabilisierte sich hier  die brandenburgische Herrschaft endgültig. Den westlichen Provinzen blieb im außenpolitischen Konzept des Großen Kurfürsten eine maßgebliche Rolle vorbehalten. 

Kurfürst Friedrich III., seit 1701 auch König Friedrich I. in Preußen, setzte die Westpolitik seines Vaters fort. Diese richtete sich, im Bündnis mit den Niederlanden und dem Kaiser, zunächst gegen die Expansion des Sonnenkönigs am Rhein und fand sinnfälligen Ausdruck im Ausbau der Weseler Fortifikation zur größten und modernsten Festung Brandenburg-Preußens. Im Laufe des Spanischen Erbfolgekrieges konnten die Besitzungen am Rhein mit der Grafschaft Moers und mit einem Teil des Oberquartiers Geldern beträchtlich vergrößert werden. 

Literatur:

Horst Carl, Nachbarn auf Distanz. Brandenburg-Preußen und die Rheinlande im 17. und 18. Jahrhundert, in: Georg Mölich/ Meinhard Pohl/ Veit Veltzke (Hg.), Preußens schwieriger Westen. Rheinisch-preußische Beziehungen, Konflikte und Wechselwirkungen, Duisburg 2003, S. 1-26

Jörg Engelbrecht, Das 17. Jahrhundert (1609-1714). Anfänge und Konsolidierung der brandenburgischen Herrschaft im Rheinland und in Westfalen, in: Georg Mölich/ Veit Veltzke/ Bernd Walter (Hg.), Rheinland, Westfalen und Preußen. Eine Beziehungsgeschichte, Münster 2011, S. 13-44

Manfred Groten/ Clemens von Looz-Corswarem/ Wilfied Reininghaus (Hg.), Der Jülich-Klevische Erbfolgestreit 1609, Seine Voraussetzungen und Folgen, Düsseldorf 2011

Irmgard Hantsche, Die Niederrheinlande und Brandenburg-Preußen. Der niederländische Einfluss auf Brandenburg-Preußen am Niederrhein, in: Georg Mölich/ Meinhard Pohl/ Veit Veltzke (Hg.), Preußens schwieriger Westen, Duisburg 2003, S. 27-61

Irmgard Hantsche, Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604-1679) als Vermittler. Politik (Hg.) und Kultur am Niederrhein im 17. Jahrhundert (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas, Bd.13), Münster [u.a.] 2005

Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg, Eine politische Biografie, Teil I und II, Göttingen [u.a.] 1971 u. 1978

Unterthemen: 

> Dynastische Heiratspolitik – Zufälle und Unwägbarkeiten

> Der Weg Brandenburgs nach Westen

> Der rechte Glaube

> Krieg und ungesicherte Herrschaft

> Landstände und Landesherr 

> Der Statthalter Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604-1679)

> Eine neue Universität

> Exilanten am Niederrhein

> Neue Kriege und ein neuer König – Ausdehnung der brandenburgisch-preußischen Herrschaft im Westen

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